Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
Nachhaltige Entwicklungim volkswirtschaftlichen Unterricht

Herkunft, Bedeutung und Kritik des Begriffs

Schon im Alten Testament wurden die Menschen dazu angehalten, keinen Raubbau an Gottes Schöpfung zu üben: Wenn ihr unterwegs auf dem Boden oder in einem Baum ein Vogelnest findet, in dem junge Vögel oder Eier mit der Vogelmutter sind, dann sollt ihr nicht die Mutter zusammen mit den Jungen nehmen. Die Jungen dürft ihr nehmen, die Mutter aber sollt ihr fliegen lassen. Dann wird es euch gut gehen und ihr werdet lange leben.” (5. Mose 22, 6-7). Die Erkenntnis, dass sich die Natur reproduzieren können muss, ist uralt und nur Gesellschaften, die dieses Prinzip achteten, waren stabil. Der Untergang der Kultur auf den pazifischen Osterinseln im 17. Jahrhundert stellt eines der eindringlichsten Beispiele für ungebremste Rohstoffnutzung dar.(1)

Eine Botschaft von der Osterinsel

 

 

Der heute maßgebliche Begriff der Nachhaltigkeit indes stammt aus der Forstwirtschaft. In diesem Wirtschaftszweig wies bereits vor 300 Jahren der sächsische Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz darauf hin, dass menschliche Wirtschaftsaktivitäten mit problematischen Folgen für Ökosysteme und nachfolgend die davon lebenden Gesellschaften einhergehen können.
War die erste Welle der Rodungen auf dem europäischen Kontinent im Hochmittelalter bedingt durch das Bevölkerungswachstum und größeren Bedarf an Acker- und Weideland, so fand die umfassende Entwaldung großer Landstriche mit Beginn der Neuzeit und Industrialisierung statt – Länder wie England, die Niederlande und Spanien opferten ihre Waldbestände rigoros dem kolonialen Bestrebungen und damit verbundenen Flottenbau – da sie Zugriff auf Holzlieferungen aus anderen Ländern organisierten. Vor allem in Spanien waren sehr schnell deutliche Klimaveränderungen spürbar. Die Forstwirtschaft hat somit als erste die Notwendigkeit erkannt, den ökologischen Gegebenheiten einer Region durch planmäßige Aufforstungen und Einschlagsbegrenzungen Rechnung zu tragen. Es wurde deutlich, die Prämisse
Wachstum um jeden Preis” auf mittlere Sicht nicht durchhaltbar ist.
Als
nachhaltig” galt somit die Betreuung von Waldflächen und ihre Nutzung auf eine Weise und in einem Maß, dass sie ihre biologische Vielfalt, Produktivität, Verjüngungsfähigkeit und Vitalität behalten sowie ihre Fähigkeit, gegenwärtig und in Zukunft wichtige ökologische, wirtschaftliche und soziale Funktionen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene zu erfüllen und dass anderen Ökosystemen kein Schaden zugefügt wird.”(2)

Aufgeschreckt durch die Studie Grenzen des Wachstums” (1972) unter Leitung des amerikanischen Ökonomen Dennis Meadows, die als Bestätigung derselben wahrgenommenen Ölkrisen der 70er und 80er Jahre sowie die aufkommenden Umweltbewegungen berief UN-Generalsekretär Pérez de Cuéllar 1983 eine UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung unter Leitung der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland. Diese veröffentlichte 1987 die weltweit beachtete Studie Our Common Future – Unsere gemeinsame Zukunft” (meist bekannt als Brundtland-Bericht”) und entwickelte erstmals die Idee einer gesamtgesellschaftlichen Nachhaltigkeit. Dabei verwendete sie zwei Definitionen:

1. "Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können."
2. "Im wesentlichen ist nachhaltige Entwicklung ein Wandlungsprozeß, in dem die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potential vergrößern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen."(3)

 

Der der Umweltbewegung der 70er Jahre anhaftenden Technologiefeindlichkeit wurde bewusst eine Absage erteilt. Es galt als unrealistisch ein Zurück zur Natur” zu predigen, da im Nachhaltigkeitsdiskurs der gesellschaftliche Mainstream angesprochen werden sollte. Außerdem sollte durch die Betonung des Begriffs Entwicklung” das Konzept auch für die Länder des Südens attraktiv gemacht werden. Da weite Teile der Weltbevölkerung unter menschenunwürdigen Lebensbedingungen zu leiden hatten und haben, sollte die Perspektive der ökonomischen Entwicklung nicht der ökologischen Dimension untergeordnet werden. Dabei konnte die Betonung des Begriffs der Entwicklung allerdings als Absage an das gesellschaftliche Ziel des Wirtschaftswachstums aufgefasst werden, auch wenn die Entwicklung in ärmeren Staaten zeitweise mit einer weiteren Steigerung des Bruttoinlandsproduktes einhergehen könnte (insofern bricht die Wortneuschöpfung des „Nachhaltigen Wachstums”, die in den letzten Jahren des Öfteren zu hören ist, mit der ursprünglichen Idee der Brundtland-Kommission). Und schließlich stellte die Forderung nach nachhaltiger Entwicklung die bisherige Einteilung in erste, zweite und dritte Welt auf den Kopf: Beim Ziel der Nachhaltigkeit befinden sich alle Staaten gemeinsam auf dem Niveau von Entwicklungsländern”.

Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigen Entwicklung

Grundlage der Ausführungen dieser Webseite ist das Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung, auch das Magische Dreieck genannt. Erstmals in der deutschsprachigen Diskussion verwendet wurde es 1994 durch die Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages. Nachhaltige Entwicklung muss daher in drei Dimensionen gedacht werden, die sich gegenseitig bedingen(4):

“1. Ökologische Nachhaltigkeit: Sie orientiert sich am stärksten am ursprünglichen Gedanken, keinen Raubbau an der Natur zu betreiben. Ökologisch nachhaltig wäre eine Lebensweise, die die natürlichen Lebensgrundlagen nur in dem Maße beansprucht, wie diese sich regenerieren.
2. Ökonomische Nachhaltigkeit: Eine Gesellschaft solle wirtschaftlich nicht über ihre Verhältnisse leben, da dies zwangsläufig zu Einbußen der nachkommenden Generationen führen würde. Allgemein gilt eine Wirtschaftsweise dann als nachhaltig, wenn sie dauerhaft betrieben werden kann.
3. Soziale Nachhaltigkeit: Ein Staat oder eine Gesellschaft sollte so organisiert sein, dass sich die sozialen Spannungen in Grenzen halten und Konflikte nicht eskalieren, sondern auf friedlichem und zivilem Wege ausgetragen werden können.”

Zielkonflikte bleiben bestehen

 

Die Schwierigkeit besteht in der Praxis (ähnlich wie beim Modell des Magischen Vierecks) in der Gewichtung der Ziele. Wieviel und welche Naturzerstörung darf zum Erreichen ökonomischer Ziele in Kauf genommen werden? Wiegen soziale oder ökonomische Ziel stärker? Marktanhänger und Sozialpolitiker/innen betonen die Bedeutung der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit; ökologische Ziele ließen sich nur durchsetzen, wenn sie gesellschaftlich mehrheitsfähig seien und damit keinerlei Abstriche am gesellschaftlichen Wohlstand gemacht werden müssten. Ökolog/innen hingegen stellen den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen an die erste Stelle; nur bei Bewahrung der Funktion der Ökosysteme ließen sich Gesellschaften überhaupt auf Dauer denken. Das Wirtschaftssystem ist nur ein Teil der Gesellschaft, die ihrerseits nur ein Teil des umfassenden Ökosystems ist. Die drei Teilbereiche müssen als kaskadenförmig abhängig betrachtet werden.

Paech/Pfriem kritisieren, dass sich mit der Einführung des Drei-Säulen-Modells die Verteidiger des Ökosystems ihrer Durchschlagskraft beraubten; die drei Säulen könnten auf Grund der einseitigen Abhängigkeit gar nicht gleichrangig betrachtet werden.(5)

 

In der Wissenschaft werden zwei Strategien unterschieden:

 

1. Schwache Nachhaltigkeit: Die Natur darf in einem Maße zerstört werden, in dem gleichwertiges Human- oder Sachkapital geschaffen wird (Substituierbarkeit). So wäre etwa gegen den Anstieg des Meeresspiegels nichts zu sagen, solange bedrohte Küstenstreifen durch den Bau von Deichen geschützt werden könnten.

2. Starke Nachhaltigkeit: Natur- und Sach-/Humankapital gelten als komplementär. Das bedeutet, dass die Natur nicht ersetzbar ist und der Kapitalstock an Natur nicht verringert wird (ethische Debatten über einen Eigenwert der Natur werden davon nicht berührt). Naturgüter dürfen nur dann dem Wirtschaftssystem zugeführt werden, wenn ihr Bestand als solches nicht in Gefahr ist (im Sinne von Aufforstung). Das spräche jedoch gegen eine Abholzung von Urwäldern, da solche Ökosysteme auch bei Wiederaufforstung in der Regel nicht dem Ursprungszustand entsprächen.

 

Der Zielkonflikt sollte im Rahmen der Einführung des Konzeptes unter den Lernenden diskutiert werden. Dabei wird die Diskussion kontroverser, sobald man konkrete Beispiele wählt. Dann fällt nämlich auf, dass starke Nachhaltigkeit in Reinform nicht durchhaltbar ist. Sollen endliche, fossile Ressourcen nicht ausgebeutet werden, da sie unersetzbar sind? Wie weit geht die Unantastbarkeit von Ökosystemen? Ein einzelner Baum darf sicherlich geschlagen werden, bloß wie steht es mit dem Gesamtbestand an Bäumen innerhalb eines Waldgebietes? Ist eine Umwandlung von Wald in andere Naturformen (Feld und Wiese) mit dem Konzept vereinbar? Da sich Ökosysteme auch durch natürliche Einflüsse wandeln, wie sehr darf der Mensch dabei mitwirken?

 

Immer wieder wurde die Sperrigkeit des Begriffs der Nachhaltigen Entwicklung kritisiert. Die deutsche Übersetzung des englischen Originals Sustainable Development” trifft den Kern der Forderung auch nur ungefähr. Das englische “sustainable” beinhaltet die Tragfähigkeit der Ökosysteme, während „nachhaltig” lediglich auf die Dauerhaftigkeit eines Zustands abhebt – kein Wunder, dass auch von „nachhaltiger Sicherung von Arbeitsplätzen” die Rede sein kann, auch wenn Umweltaspekte dabei gar keine Rolle spielen. Spannend an der deutschen Variante des Konzepts ist der implizite Widerspruch: Während Nachhaltigkeit die Bewahrung des Bestehenden anspricht, postuliert die Entwicklung” die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Wandels - dieser Zielkonflikt lässt sich in zahllosen gesellschaftlichen Debatten nachverfolgen, in denen Nachhaltigkeit höchst unterschiedlich, mal konservativ, mal transformativ, interpretiert wird. So gesehen haben die Begriffe von Nachhaltigkeit” und Nachhaltiger Entwicklung tatsächlich unterschiedliche Konnotationen.

Andere Verfechter des Konzeptes reden gerne von der sogenannten „Zukunftsfähigkeit” – ein ebenso unhandlicher Begriff, der sich ebenfalls schwer tut, emotionale Identifikation zu erzeugen. (Allerdings ist einzuräumen, dass gerade die Studie Zukunftsfähiges Deutschland” im Auftrage vom BUND, Misereor und Brot für die Welt 1996 einen enormen Schub für die nationale Debatte brachte.) Zuletzt ist immer öfter auch vom Begriff der „Enkelfähigkeit” die Rede.(6) Anhänger dieses Terminus erhoffen sich darüber eine bildhaftere Vorstellung und mehr gesellschaftliche Akzeptanz.

 

Eine verbindliche Definition erscheint wie so oft in den Sozialwissenschaften auch hier schwierig. Kein Wunder, dass bis heute in den allermeisten Publikationen zur Thematik Bezug auf die ursprüngliche UN-Studie von 1987 genommen wird. Ziel der Ausführungen dieser Webseite ist daher hauptsächlich, den Blick von der rein ökonomischen Betrachtung, die im Rahmen des VWL-Unterrichts üblich ist, punktuell auf soziale und ökologische Folgen zu erweitern. Damit verliert die ökonomische Dimension ihre vorherrschende Stellung bei der Bewertung von gesellschafltichen Entwicklungen – dies ist im Sinne der Ziele der nachhaltigen Entwicklung gewollt und kommt einer ausgewogeneren Betrachtung der Probleme entgegen.

Sustainable Development Goals – die Versöhnung von Nachhaltigkeit und Entwicklung?

 

Sogar auf Seiten der Entwicklungsorganisationen galt Nachhaltige Entwicklung lange als ungeliebtes Kind. Der starke Akzent auf der Ökologie ließ befürchten, dass Entwicklungs- und Schwellenländer in ihrer nachholenden Wirtschaftsentwicklung ausgebremst werden könnten. Schon auf der großen Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992, auf der die Agenda 21 verabschiedet wurde, zeichnete sich Gegenwind von Vertretern ärmerer Staaten ab. Wie schwierig Partnerschaft in der globalen Welt ist, zeigt sich alle Jahre wieder an Hand der zuletzt weit hinter den Erwartungen zurückgebliebenen Weltklimakonferenzen.

Mehr Konsens sollten die Millennium Development Goals (MDGs) schaffen, die von 2000-2015 als gemeinsame Leitidee von UN, OECD, IWF und Weltbank die internationale Entwicklungspolitik bestimmen sollten: Neben der ökologischen Nachhaltigkeit wurden dort insbesondere Ziele genannt, die explizit Entwicklungs- und Schwellenländern zu Gute kommen sollten.

 

Ende 2015 liefen die MDGs aus. Im September 2015 wurden von der UNO als Nachfolgepaket die sogenannten „Sustainable Development Goals“ (SDGs) für die Zeit danach verabschiedet. Darin wurden die MDGs noch einmal stärker ausdifferenziert und – ähnlich der Agenda 21 – ein Katalog von 17 Handlungsfeldern erstellt.

 

Licht im Dschungel der Nachhaltigkeitsbegriffe

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Lehrer/innenhandreichungen / Basistext

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Die SDGs haben beträchtliche Resonanz in der Gesellschaft erzeugt. Als didaktisches Mittel zur Strukturierung des Diskurses sind sie gerade in Bildungsprozessen enorm hilfreich. Zahlreiche Entwicklungsorganisationen haben dazu Unterrichtshilfen erstellt (z. B. die SDG-Holzklötze von BiWiNa e.V.).

 

Aber auch Kritik wird immer wieder laut. So liefen die SDGs auf Nachhaltigkeitsrhetorik hinaus, wenn sie nicht durch stärkere zivilgesellschaftliches Engagement in die lokale Umsetzung gebracht würden. Zudem hinterfragen die SDGs nicht dezidiert das Wachstumsparadigma, das als Heiliger Gral des globalen Kapitalismus auch weiterhin die ressourcentechnische Erschließung und Ausbeutung vieler Länder zum Wohle globaler Konzerne antreibt.(7) Tatsächlich unterstellt explizit SDG 8 die Möglichkeit eines nachhaltigen Wachstums.

 

 

Fridays for Future – Nachhaltigkeit „back to the roots“?

 

Das „zivilgesellschaftliche Engagement“ gab es seit Anbeginn der Diskussion um Nachhaltige Entwicklung. Die Globalisierung des Wettbewerbs und die Individualisierung von Lebensrisiken, die den Kern der neoliberalen Agenda in den 80er, 90er und 2000er Jahren ausmachten, verhinderten jedoch eine gesellschaftliche Verbreitung des Diskurses – mit dem Resultat, dass das Konzept noch 25 Jahre nach dem Brundtland-Bericht der Mehrheit der deutschen Bevölkerung noch unbekannt war. Nachhaltigkeit war ein Nebendiskurs für die alte Umweltbewegung und die intellektuelle und wissenschaftliche Avantgarde, aber ohne substantiellen Widerhall in der Mehrheitsgesellschaft, die die eher die in der Globalisierung ausgeweiteten Chancen von Konsum und Selbstverwirklichung goutierte.

 

Einen Unterschied ergaben die Weltfinanzkrise 2008/09 und die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Sie machten das ideologische Scheitern der neoliberalen Globalisierung evident. Hinzu traten der immer stärker auch meteorologisch zu spürende Klimawandel und die Problematik der weltweiten Verschmutzung mit (Mikro-)Plastik. Sie führten dazu, dass sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger für Nachhaltigkeitsthemen interessierten und engagierten. Das Engagement half allerdings weniger den traditionellen Natur- und Umweltverbänden, sondern fand zunehmend in der digitalen Welt statt. Dabei stand kein politisch-technokratischer Nachhaltigkeitsbegriff im Vordergrund, sondern die praktische Umgestaltung von Lebensstilen – das Milieu der „LOHAS“ (Lifestyle of Health and Sustainability) wurde zum Trendsetter auch für Konsum und Handel: Natur- und Bioprodukte verließen die „Öko-Nische“ und begannen die Regale auch der Discounter zu füllen. Kritisch beobachtet wurde dabei, dass viele der vermeintlich „grünen“ Produkte ihren hehren Ansprüchen nicht genügten: Für „Bio-Kraftstoffe“ werden genetisch veränderter Raps angebaut, auf ökologische Standards beim Palmöl gibt ohnehin kaum jemand etwas, Bio-Flug-Ananas aus Lateinamerika versüßt den Nachtisch, hinterlässt aber einen bitteren Beigeschmack in der Atmosphäre. „Die Grüne Lüge“ wurde zum Publikumserfolg. Hinzu kam, dass die Spezialisierung der Diskussionen um „öko-faire“ Lebensstile mit einem umfassenden Nachhaltigkeitsansatz nur noch peripher zu tun hatte – denn wer in Unverpacktläden kauft, fährt womöglich mit dem SUV vor, wer im Stadtverkehr dem Fahrrad den Vorzug gibt, achtet vielleicht nicht auf die Verpackung des Bioprodukts und fliegt womöglich doch alljährlich in den Urlaub im Süden. Das Engagement der „LOHAS“ wurde so beliebig und leicht hinterfragbar.

 

Wie das Vorbild Einzelner die Welt verändern kann, zeigt ab dem Sommer 2018 die schwedische Schülerin Greta Thunberg, die vor dem Stockholmer Parlament zunächst einsam gegen den Klimawandel protestierte, doch ab dem Winter 18/19 weltweite und millionenfache Nachahmer fand: die Fridays for Future-Bewegung war geboren.

Zwei Dinge sorgten für eine neue Qualität der neuen Bewegung: Sie brachte das Engagement aus dem Netz zurück auf die Straße, wo die Umweltbewegung 40 Jahre zuvor ihren Anfang genommen hatte – und sie legte Zepter des Handelns zurück in die Hände der Politik. Damit entsprachen die Forderungen wieder dem Ansatz des UN-Brundtland-Berichtes von 1987, der explizit die Politik in die Pflicht genommen hatte. Wo sich die Fridays for Future jedoch nicht vom Netz- und Konsumaktivismus der letzten 10 Jahre gelöst haben, ist die Fokussierung auf lediglich einen Aspekt von Nachhaltigkeit, den Klimawandel. Infolgedessen drohen viele diskutierte Vorschläge (Wasserstoff oder E-Mobilität statt Verbrennungsmotor?) nur Teillösungen zu sein, die wieder neue Probleme verursachen.

 

Mit der weltweiten Medizin-Krise um das Corona-Virus im Frühjahr 2020 wird ein neues Kapitel im Umwelt-, Gesundheits- und Demokratie-und Ökonomie-Diskurs aufgeschlagen. Wie sich die Pandemie oder vor allem die Angst davor auf Konsumverhalten und politische Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigen Entwicklung auswirken werden, werden wir erst noch erleben. Werden wir eine Welle der Solidarität und Bereitschaft erleben, marode Gesellschaftsmodelle zu sanieren? Oder wird es zum nationalstaatlichen Rückzug kommen und Zukunftsdenken aus Angst vor der Welt wieder in die Nische gedrängt?

 

Wir werden weiter lernen müssen.

(1) Claudia Eulitz: Fruchtbare Gärten unter Steinen. In: unizeit Nr. 58 vom 13.02.2010, S. 4.
www.uni-kiel.de/unizeit/index.php?bid=580401

(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Nachhaltigkeit_(Forstwirtschaft)

(3) http://de.wikipedia.org/wiki/Brundtland-Bericht

(4) http://de.wikipedia.org/wiki/Nachhaltigkeit_(Drei-S%C3%A4ulen-Modell)

(5) Paech, Niko / Pfriem, Reinhard: “Wie kommt das Soziale in die Nachhaltigkeit?” In: Jahrbuch Ökologische Ökonomik 2007, S. 101.

(6) http://trenntmagazin.de/was-meint-eigentlich-enkelfahig/

(7) Boniface Mabanza Bambu: Mehr als bloße Nachhaltigkeitsrhetorik? In: Dossier Entwicklung, Afrika Süd 06/2017, S. 3. https://www.afrika-sued.org/ausgaben/heft-6-2017/mehr-als-blosse-nachhaltigkeitsrhetorik-/
 

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