Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
Nachhaltige Entwicklungim volkswirtschaftlichen Unterricht

Wirtschaftsordnungen:                           Ökologisch-soziale Marktwirtschaft

 

Im traditionellen volkswirtschaftlichen Unterricht hatte die Behandlung von Wirtschaftsordnungen ihren festen Platz. Dabei ging es immer um den Systemgegensatz von Marktwirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft sozialistischer Prägung. Allgemein geht es in diesem Thema um allgemeine Prinzipien des wirtschaftlichen Handelns im Sinne der geltenden Rechtsordnung und eine Bewertung des Verhältnisses zwischen Staat und Markt. Doch seit dem de facto „Sieg“ des Kapitalismus über den Sozialismus entfällt in Lehrplänen wie Lehrbüchern zunehmend eine erschöpfende Betrachtung idealtypischer Wirtschaftsordnungen. Dies ist nicht nur bedauerlich, sondern auch kontraproduktiv, wenn es um die Förderung von Gestaltungskompetenz und Denken in Alternativen geht. Denn erst Unterrichtsreihen zur Wirtschaftsordnung verdeutlichen, dass Wirtschaften eine Folge der geltenden Rechtsbestimmungen ist und keine naturgegebene Ordnung. Gerade dem Neoliberalismus der Jahrtausendwende kann man ja eine ideologische Nähe zum Sozialdarwinismus nicht ganz absprechen. Auch wenn der Sozialismus nur noch in rudimentären Ansätzen in Kuba und in Nordkorea besteht, so ist die Beschäftigung mit dem System der Zentralverwaltungswirtschaft  sehr nützlich, um die niemals endgültig aufzulösende Debatte um staatlichen Einfluss auf das Marktgeschehen zu systematisieren.

In manchen Darstellungen fällt auch nur die Zentralverwaltungswirtschaft weg, während die Epochen der freien sowie der sozialen Marktwirtschaft weiterhin erläutert werden. Hier muss man aufpassen, dass man keine Geschichtsfälschung unternimmt, denn die Soziale Marktwirtschaft hatte in ihrer Genese sicher auch sehr viel mit dem aufziehenden Kalten Krieg zu tun.

 

Will man das Thema der Nachhaltigen Entwicklung mit der Wirtschaftsordnung verbinden, so landet man sehr schnell beim Begriff der „ökologisch-sozialen Marktwirtschaft“. Er entstand im deutschsprachigen Raum in den 70er und 80er Jahren vor allem in konservativen Kreisen, die die Errungenschaft der sozialen Marktwirtschaft vor Angriffen einer politisch links stehenden Ökologie verteidigen wollten. Seit Ende des Systemwettkampfs Anfang der 90er Jahre scheint das wissenschaftliche und mediale Interesse an einer öko-sozialen Marktwirtschaft etwas erlahmt zu sein. Auch in volkswirtschaftlichen Lehrwerken  - zumindest nach Befund unserer Schulbuchstudie - wird kaum einmal  die Notwendigkeit einer  Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung in den Raum gestellt.

Die wirtschaftspädagogische Diskussion einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft ist dennoch sinnvoll, wenn sie – ähnlich wie früher die Zentralverwaltungswirtschaft – unserer aktuellen Wirtschaftsordnung gegenübergestellt wird. Wenn etwa im Rahmen der Wirtschafts-, Struktur- oder Umweltpolitik spezifische Instrumente erläutert worden sind, geht es im Unterricht zur Ökologisch-sozialen Marktwirtschaft eher um Handlungsprinzipien, die speziell in der Öko-sozialen Marktwirtschaft staatliche Aktivitäten leiten. Darunter fallen insbesondere das Verursacherprinzip, das Vorsorgeprinzip und das Kooperationsprinzip. Während bei der Gegenüberstellung  von Zentralverwaltungswirtschaft und Marktwirtschaft der Schwerpunkt auf dem Gegensatz Markt-Staat liegt, so dürfte bei der Diskussion von sozialer und ökologisch-sozialer Marktwirtschaft vor allem auch die Frage der Freiwilligkeit oder des staatlichen Zwangs diskutiert werden: Was verordnet der Staat den Wirtschaftssubjekten, was überlässt er ihrer individuellen Verantwortung und ihrem Umweltbewusstsein? Des Weiteren sind Fragen der Eigentumsordnung von Interesse, wenn z.B. ein Recht auf Verschmutzung der Umwelt gewährt wird.

 

Die Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft zur Ökologisch-sozialen Marktwirtschaft

 

Seit Anfang der 90er Jahre ist die sozialistisch-kommunistische Zentralverwaltungswirtschaft bis auf wenige Ausnahmen (Kuba, Nordkorea) Geschichte. Die Marktwirtschaft gilt als das „Siegermodell“ im Wettbewerb der Wirtschaftsordnungen. Mit der Entscheidung „für den Markt“ sind die Probleme der Menschen jedoch nicht gelöst. Die fortschreitende Umweltzerstörung und der Ressourcenabbau in allen Industrieländern verlangt, dass eine neue, umweltverträgliche, „nachhaltige“ Wirtschaftsordnung geschaffen wird. Oft wird diese Wirtschaftsordnung „ökologisch-soziale Marktwirtschaft“ genannt.

 

Diese Wirtschaftsordnung funktioniert nach den folgenden Prinzipien:

Umweltbewusstsein: Solange z.B. Schüler noch Reststoffe aller Art gedankenlos in die Schulhöfe werfen, Touristen ihre Abfälle in den Parks und an den Stränden hinterlassen, Autofahrer ihre Motoren im Stand laufen lassen, Verbraucher oft aufwändig verpackte Lebensmittel kaufen, Familienväter den Sperrmüll im Wald „entsorgen“, Landwirte ihre Spritz- und Düngemittel nach dem Motto „viel bringt viel“ versprühen, solange jeder, ob Privater, Unternehmer, Angestellter, Arbeiter, Beamter, Rentner oder Jugendlicher, den Umweltschutz den „anderen“ überlässt, ist es um den Fortbestand unseres Wohlstands und um die globale Gerechtigkeit schlecht bestellt.

Ein Umdenken ist ebenfalls nötig, damit Politiker/innen, die letztlich die Entscheidungen treffen, die erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht einsieht, dass Energie und Treibstoffe auch heute noch viel zu „billig“ sind, werden die notwendigen Regelungen nicht getroffen, weil die Politiker den Verlust von Wählerstimmen fürchten.

 

Die Veränderung des Bewusstseins allein genügt nicht. Auch heute fühlen sich nicht alle Haushalte und Unternehmen für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen verantwortlich. Die anderen müssen durch staatliche Gesetze dazu „motiviert“ werden.

 

Verursacherprinzip: Es verlangt, dass alle Kosten denjenigen Leistungen zuzurechnen sind, auf die die Kosten zurückzuführen sind. Das bedeutet, dass auch Kosten der Vermeidung von Umweltschäden oder ihre Beseitigung, wenn sie doch entstanden sind, von den Wirtschaftsteilnehmern zu tragen sind, die für die Entstehung verantwortlich sind. Bisher übernimmt der Staat oft diese Kosten und zahlt sie aus dem Steueraufkommen. Man sagt, die Kosten müssen „internalisiert“ werden. Dann können alle Marktteilnehmer an Hand der Preise besser entscheiden, welches Produkt umweltschädlich ist. Eine solche Internalisierung kann mit Hilfe von Umwelt-/ Rohstoffsteuern stattfinden, die in Höhe der Kosten der Umweltschädigung auf ein Gut aufgeschlagen werden. Alternativ werden Emissionszertifikate ausgegeben, die die Unternehmen vom Staat kaufen müssen, wenn sie die Umwelt belasten wollen. Oder der Staat erlässt Gesetze, die die Hersteller zur Nachverfolgung ihrer Lieferketten zwingen. Ziel ist, dass ökologische bzw. soziale Schäden bei der Produktion offengelegt werden.

 

Vorsorgeprinzip:  Angebot und Nachfrage richten sich nach dem Preis. Der Preis ergibt sich aus den Kosten der Produktion und des Vertriebs plus Gewinnaufschlag. Die zukünftigen Kosten für die Gesellschaft sind jedoch nicht in der Preiskalkulation der Unternehmen enthalten. Z.B. der Klimawandel führt schon heute zu enormen Kosten und wird in der Zukunft noch viel größere Kosten verursachen. Darum müssen Gesetze und Steuern dafür sorgen, dass Unternehmen und private Haushalte nicht auf Kosten unserer eigenen Zukunft oder jener künftiger Generationen wirtschaften. Auch der Staat muss bei seinen Entscheidungen viel weiter in die Zukunft schauen. Z.B. wenn er stadtplanerische Entscheidungen trifft oder Subventionen an Unternehmen gibt: Nur Unternehmen, die umweltschonend wirtschaften, werden dann staatlich gefördert.

 

Kooperationsprinzip:  Es sieht eine enge Zusammenarbeit von Unternehmen, privaten Haushalten und dem Staat, Verbänden und Organisationen vor. Bürger können staatliche Stellen auf Umweltprobleme aufmerksam machen, Einzelhändler können die Hersteller über die Einführung umweltschonender Produkte beraten, die die Kunden akzeptieren, Hersteller umweltfreundliche Produkte bewerben. Neue Nutzungsformen müssen entdeckt werden: Wie das Modell des Car-Sharings bereits heute in Großstädten funktioniert (Bürgerinnen und Bürger gründen Genossenschaften, die gemeinsame Autos anschaffen, die nur bei Bedarf genutzt werden, ansonsten von anderen Mitgliedern der Genossenschaft), so können auch neue Formen der gemeinsamen Nutzung anderer Güter entwickelt werden (gemeinschaftliche Gartengeräte, Werkzeuge, die man nur selten benötigt, für ein Wohnviertel, Waschmaschinen für mehrere Familien). Bei der Produktwahl sollten die Marktteilnehmer auch die Produktionsbedingungen der Güter mit im Auge haben, denn nur sogenannte „faire Produkte“ lassen den Arbeitern in armen Ländern oft einen Lohn, mit dem sie ihre Familien ernähren können und somit auf Kinderarbeit verzichten können. Darüber hinaus können Menschen sich im „Öko-Sponsoring“ engagieren: Spenden für Umweltschutzorganisationen sind schon heute weit verbreitet. Immer mehr Menschen legen auch bei ihren Ersparnissen Wert auf nachhaltige und faire Geldanlagen.

Prinzipien einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft

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Das Wirtschaftsmodell „Kreislaufwirtschaft“ als Ziel

 

Der entscheidende Unterschied zwischen einer sozialen Marktwirtschaft und einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft liegt in ihrem Umgang mit den Ressourcen (oder den sogenannten „Stoffströmen“). Dabei lassen sich drei Modelle unterscheiden.

 

Wegwerfwirtschaft (Linear Economy): Ressourcen werden aus dem Boden/der Natur entnommen und nach dem Durchlaufen von Produktion und Konsum dorthin zurückgegeben. Das Modell ist auch unter dem Begriff „Cradle-to-Grave“ bekannt und entspricht weitgehend der Wirtschaftsweise, die in der über 200-jährigen Geschichte der Industrialisierung umgesetzt wurde (auch in der Zeit der bundesrepublikanischen „Sozialen Marktwirtschaft).

 

Recyclingwirtschaft (Recycling Economy): Ressourcen werden nach ihrer ersten Nutzung für ein Produkt über Sammelsysteme für eine zweite, dritte oder mehrfache Nutzung aufbereitet. Am Ende der Nutzungskaskade (siehe Kapitel Grundbegriffe) landen sie allerdings wieder in der Natur (auf kontrollierte Weise in Deponien oder unkontrolliert in der freien Natur).

 

Kreislaufwirtschaft (Circular Economy): Ressourcen werden aus dem Boden/der Natur entnommen und im Falle erneuerbarer bzw. naturverträglicher Stoffe nach ihrer Nutzung in natürliche Kreisläufe zurückgegeben. Nicht-erneuerbare Ressourcen sollen nach ihrer Entnahme aus der Natur möglichst nicht mehr dorthin zurückgelangen, sondern prinzipiell endlos in technischen Kreisläufen zirkulieren. Ein wichtiger Unterschied zur Recylingwirtschaft ist, dass die spätere Verwertung der Materialien schon bei der Produktentwicklung von Anfang an mitbedacht wird. Das Modell ist auch unter dem Begriff „Cradle-to-Cradle“ bekannt (siehe Kapitel Nachhaltigkeit).

Kreislaufwirtschaft

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Im Gegensatz zur Wirtschaftsordnung eines Staates beschreiben Wirtschaftsmodelle nur theoretische Konstruktionsweisen. Eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft orientiert sich am weitest gehenden Modell der Kreislaufwirtschaft. Ob eine vollständige Kreislaufwirtschaft jemals möglich sein wird, ist allerdings zu bezweifeln: Ökologische Spuren unserer Zivilisation dürften sich trotz der größten Anstrengungen nie vollständig vermeiden lassen. Dafür spricht allein der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Das heißt, dass auch die sogenannte „starke Nachhaltigkeit“ (sogar ohne menschliches Einwirken auf eine Natur, die ihrerseits ständig in Veränderung ist) eine de-facto unerreichbar Idealvorstellung darstellt. Dennoch stellt das Modell der Kreislaufwirtschaft die maßgebliche Leitperspektive für eine öko-soziale Marktwirtschaft dar. Nicht weil der Mensch nicht das prinzipielle Recht zur Nutzung der Früchte der Natur hat („Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte“ (Genesis 2,15)), sondern weil der menschliche „Impact“ auf die Natur minimiert werden sollte, um so ein friedliches Zusammenleben von bald 8 Milliarden Menschen überhaupt denkbar zu machen.

 

Das Leitmodell der „Kreislaufwirtschaft“ wäre prinzipiell übrigens auch innerhalb einer Zentralverwaltungswirtschaft denkbar. Tatsächlich war die Aufbereitung von Reststoffen in der DDR mit dem SERO-System lange Zeit erfolgreich und manche Umweltaktive bedauerte in den 90er Jahren, dass im Zuge der Deutschen Einheit dieser Beitrag der neuen Bundesländer ebenfalls abgewickelt und nicht zum bundesweiten Modell wurde.

Ob ein sozialistisches Wirtschaftssystem am Ende wirklich besser geeignet wäre als eine Marktwirtschaft, um die ökologischen Leitplanken einzuhalten, ist Gegenstand immer wiederkehrender Grundsatzdiskussionen um den „Kapitalismus“. Dabei firmiert eine ökologische Zentralverwaltungswirtschaft zumeist eher unter dem Begriff der „Ökodiktatur“ – die ihrerseits vor allem in literarischen und filmischen Dystopien auftaucht, aber auch in realpolitischen Zukunftsprognosen diskutiert wird.(1)

 

 

 

 

Wall Street Consensus statt Green New Deal? 40 Jahre nach dem Neoliberalismus schickt sich ein neues Paradigma an, das staatliche Selbstverständnis zu revolutionieren. Was ist von seinen Versprechungen in Sachen Nachhaltigkeit zu halten? Und welche Konsequenzen ergeben sich für die Wirtschaftslehre und den politischen Unterricht?

(1)  Fleck, Dirk C.: GO! Die Ökodiktatur. Hamburg 1993.

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