Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
Nachhaltige Entwicklungim volkswirtschaftlichen Unterricht

Degrowth - auch ein Wochentagsthema?

Kommentar zur Serie der Frankfurter Rundschau anlässlich der internationalen Degrowth-Konferenz in Leipzig vom 2.-6.9.2014.

 

Die Degrowth-Konferenz ist vorbei. Gut, dass wir darüber gesprochen haben. Aber wird sie die wirtschaftspolitischen Debatten weiterhin beeinflussen? Zweifel sind angebracht, wenn man die erste Doppelseite „Wirtschaft“ der Frankfurter Rundschau vom 5.9. aufschlägt: Da stellt die Gastautorin Friederike Habermann zu Recht fest, dass eine weltweite Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch auch heute reines Wunschdenken ist. Und im nebenstehenden Artikel titelt die Meldung zur Leitzinssenkung der EZB, dass die „Krise“ schwacher Wachstumsraten bekämpft werden müsse.

Wachstumskritik wird auch in Zukunft ein für die säkulare Sonntagsrede beliebtes Thema bleiben. Diesen Anschein macht jedenfalls die Mehrheit der Beiträge zur FR-Serie. Die Ursache für den Tanz um das „Goldene Kalb“ wird in der Gier des Menschen, der Ungerechtigkeit der Welt gesucht, dem vermeintlichen Wachstumszwang angekreidet, sprich dem Kapitalismus innewohnend beschrieben. Also weg damit. Nur führt es uns nicht weiter, wenn bald 8 Milliarden Menschen in Sachen Abschaffung des Wettbewerbs übereinkommen müssen. Wettbewerbsdenken ist dem Menschen in die Wiege gelegt worden. Die Fähigkeit zur Kooperation ebenfalls. Dazwischen hat jeder Einzelne, aber eben auch die Politik unzählige Handlungsoptionen. Doch konkrete Empfehlungen, wie die Transformation in Richtung einer Postwachstumsgesellschaft zu schaffen ist, sind auch in den Beiträgen ökonomischer Vordenker Mangelware.

Am konkretesten äußert sich Christine Ax. Wenn man heute Realist ist, muss man anerkennen, dass sich die meisten Industriestaaten ausgewachsen haben. Zusätzliches Wachstum ist nur noch durch statistische Buchungstricks, die Verschärfung gesellschaftlicher Gegensätze, durch Exportorientierung auf Kosten benachbarter Volkswirtschaften und der schuldenfinanzierten „Ankurbelung“ der Konjunktur machbar. Und in jedem Fall wird der Ressourcenverbrauch weiter gesteigert. Nein, Realist ist, wer Politik macht, die nicht mehr auf Wachstum angewiesen ist. Doch keiner der Autoren monierte zum Beispiel die wahnwitzigen Steuersysteme in den meisten Staaten, die Arbeit hoch besteuern und Arbeitslosigkeit fördern und Ressourcenverbrauch niedrig besteuern und somit einer fortschreitenden Rationalisierung in Richtung Energie- und Ressourcenverbrauch den Weg ebnen. Wenigstens Frau Ax trifft den Nagel auf den Kopf, indem sie eine neue Verteilung von Arbeit ins Spiel bringt. Das gesellschaftlich verteilbare Arbeitsvolumen sinkt seit Jahrzehnten. Wenn man dann politische Forderungen nach Erhöhung der Lebensarbeitszeit und Beschleunigung im Bildungssystem hört, fragt man sich, ob die Logik unseres Wirtschaftssystems überall verstanden worden ist.

Es wird an der Wirtschaftswissenschaft liegen, ihr Axiom vom fortwährenden Wachstum in Frage zu stellen. Einer ökonomischen Bildung, die dem Rechnung trägt. Daneben brauchen wir glaubwürdige PolitikerInnen ohne Angst vor dem nächsten Wahlkampf, die mutige Wahlprogramme formulieren mit Konzepten der Daseinsvorsorge, die ohne Steigerung des BIP funktionieren. Aber auch den Medien kommt eine große Verantwortung zu: Es geht nicht, heute über Wachstumskritik zu schreiben und morgen die wachstumsfördernde Geldpolitik der EZB zu begrüßen. Die monetaristische Ideologie der „Preisstabilität ist alles“ ist antietatistischer Voodoo, der keynesianische Traum vom staatsgetriebenen „Konjunkturmotor“ ökologischer Irrsinn. Und die Medien müssten auch etwas anderes ändern: Weniger tägliche Panikmeldungen über sinkendes BIP-Wachstum, schwächelnde Konjunktur, sondern mehr Berichterstattung über langfristige, an Nachhaltigkeit orientierte Struktur-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Forschungspolitik.

Quelle: Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft

Aber Degrowth ist vorbei. Im Eingangsartikel „Markt statt Moral“ vom 6.9., Teil der neuen Gerechtigkeits-Serie der Frankfurter Rundschau, werden Gerechtigkeit und Wachstumsdebatte bereits wieder getrennt gedacht. Es handelt sich nämlich um eine Büchse der Pandora, wenn der Ratingagentur S&P beigepflichtet wird, gesellschaftliche Ungleichheit sei schlecht für das „Wachstum“.

 

Die komplette Serie der Frankfurter Rundschau:

Ulrich Brand: Wohlstand statt BIP-Zunahme.

Die Fixierung auf Wirtschaftswachstum führt zu mehr Instabilität. Und die Gesellschaft verliert an Gestaltungsmacht.

www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-wohlstand-statt-bip-zunahme,1472602,28207868.html

 

Stephan Kaufmann: Immer mehr.

Gibt es eigentlich einen Wachstumszwang?

www.fr-online.de/wirtschaft/wirtschaftswachstum-immer-mehr,1472780,28273178.html

 

Jörg Schindler: Stadt, Land, Überfluss.

Den materiellen Mangel haben wir überwunden. An seine Stelle ist der Mangel an Sinn, an Zweck, an Nutzen getreten.

www.fr-online.de/wirtschaft/stadt--land--ueberfluss,1472780,28261214.html

 

Sabine Leidig: Abkehr vom Wachstumsmantra.

Der „Weniger ist mehr“-Appell darf sich nicht nur an Verbraucher richten. Vor allem die Politik muss umdenken.

www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-abkehr-vom-wachstumsmantra,1472602,28273340.html

 

Kay Bourcarde: Der exponentielle Irrtum.

Warum unsere Hoffnungen in das Wirtschaftswachstum stets enttäuscht werden.

www.fr-online.de/wirtschaft/wirtschaftswachstum-der-exponentielle-irrtum,1472780,28285316.html

 

Felix Rauschmayer: Wie Drogenabhängige.

Die Angst vor einer Wirtschaft ohne Wachstum ist groß. Wir verhalten uns wie Süchtige. Die Voraussetzungen für eine Therapie sind sehr schlecht.

http://www.fr-online.de/gerechtigkeit/wirtschaftswachstum-wie-drogenabhaengige,28235374,28299430.html

 

Christine Ax: Genießen statt schuften.

Das größte Paradoxon unserer Zeit ist, dass wir es uns trotz des Überflusses an Gütern bisher nicht erlaubt haben, weniger zu arbeiten.

www.fr-online.de/gerechtigkeit/gastbeitrag-geniessen-statt-schuften,28235374,28305300.html

 

Friederike Habermann: Ohne Wachstum kein Kapitalismus.

Wachstum ist keine Option, denn eine absolute Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch hat sich historisch als unmöglich erwiesen…

www.fr-online.de/gerechtigkeit/gastbeitrag-ohne-wachstum--kein-kapitalismus,28235374,28315898.html

 

Alberto Acosta: Die Quelle der Ungerechtigkeit.

Statt Wachstum brauchen wir mehr Gleichheit zwischen Arm und Reich, Nord und Süd, Mensch und Natur.

www.fr-online.de/gerechtigkeit/gastbeitrag-die-quelle-der-ungerechtigkeit,28235374,28327362.html

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