Liebe Verbesserer*!
Lehrer*innen und Lehrer! Berufsoptimisten! Qua professione verbessern wir die Welt! Wieviel Kilometer rote Tinte haben Sie eigentlich schon ihn Ihrem LehrerInnendasein geschrieben? Hat es die Welt verbessert? Vielleicht haben wir einer Schülerin eine neue Erkenntnis eröffnet oder ein Schüler hat an Handlungskompetenz gewonnen. Oder wir haben eben nur einen Fehler verbessert.
Ein Lehrender ohne den Wunsch einen Lernenden zu „verbessern“ hat seinen Beruf
verfehlt. Doch sind wir wirklich sicher, dass der „verbesserte Schüler“ seinerseits oder die „handlungskompetentere Schülerin“ ihrerseits die Welt verbessert? Entlassen wir junge Menschen aus dem
Bildungssystem, die nun im Wirtschaftssystem ihre Haut „besser“ zu Markte tragen, Unternehmen zu „besseren“ Renditen verhelfen? Verbessert dies die Welt? Der alte Schotte Adam Smith hätte dies wohl
bejaht – doch seine Idee der „unsichtbaren Hand“ ist längst widerlegt. Der egoistische, nutzenmaximierende Homo Oeconomicus schadet allzu oft der Allgemeinheit.
Oder geht es auch darum, der nachwachsenden Generation eine Vorstellung von einer „besseren“ weil sozialeren, humaneren, ökologisch-stabileren
Welt zu geben? Eine Welt, in der noch Zeit zur Muße, zu stabilen Beziehungen, zur Sinnsuche gegeben wird und die sich nicht vom technologischen Fortschritt getrieben zu Tode beschleunigt und
zersetzt?
Unsere Gesellschaft maximiert Bruttoinlandsprodukte und Renditen – und beutet dabei das Leistungsvermögen der Menschen (demokratisch gerade noch toleriert) maximal aus. Sie übt – gerade in Zeiten des "Shareholder Value" – weniger denn je Rücksicht auf zukünftige Entwicklungen... oder Sprünge eines Ökosystems, das sich vermutlich nicht besonders um das Überleben der einen oder anderen Spezies schert. Und damit nähern wir uns auch schon im Sauseschritt der Forderung nach einer „nachhaltigen Gesellschaft“. Sie sollte seit über 30 Jahren das Maß aller Dinge sein.
Zum Beispiel in der schulischen Wirtschaftsbildung. Doch wie sieht es mit ihrer Durchdringung durch den Nachhaltigkeitsdiskurs aus? Korrigieren Sie auch schon in grüner Tinte? Viel mehr schreiben viele gültige Lehrpläne in aller Regel doch nicht vor...
Wir Lehrerinnen und Lehrer sind Verbesserer. „Schüler-Verbesserer“. Oder sollten wir besser „Schüler-Entwickler“ sein, wenn „verbessern“ impliziert, dass das „Objekt“ des Lehrens noch „schlecht“ ist? Ist jede „Entwicklung“ begrüßenswert, egal welche Auswirkungen dies auf Um- und Mitwelt hat? Sollte „Nachhaltigkeit“ nicht eine der ersten Forderungen an einen individuellen wie gesellschaftlichen Transformationspfad sein?
Es gibt noch viel Entwicklungsbedarf – auch in der Lehre.
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit den Anregungen auf dieser Webseite. Und wenn Sie eigene Anregungen zur Thematik haben - ich freue mich über Ihre Nachricht.
Ihr Patrick Brehm
Viele “Zukunfts"probleme der kommenden Weltgesellschaft zeichnen sich schon lange ab, sind inzwischen Teil der gegenwärtigen Entwicklungen:
Der gesellschaftliche Ansatz der Nachhaltigen Entwicklung sollte bei der Lösung nach Antworten einen
Diskussionsrahmen bieten: Wie in keinem anderen Konzept versucht man hier ökologische, ökonomische und soziale Erwägungen in einen sinnvollen und zukunftsweisenden Zusammenhang zu
stellen.
„Entwicklung nachhaltig zu machen, heißt, dass die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Generation zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können." (UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung im sogenannten “Brundtland-Bericht”1987)
Als neues Leitkonzept stieg Nachhaltigkeit in den 90er und 2000er Jahren in der Wissennschaft und der kritischen Zivilgesellschaft auf. In der Politik hat er in der gleichen Zeit Karriere in Reden aud auf Konferenzen gemacht - ohne dabei weitreichende Konsequenzen für die politische Praxis zu haben. In der Mitte der Gesellschaft hat der Begriff erst in den letzten 10 Jahren eine ubiquitäre Verbreitung erfahren. Während 2010 laut Umweltbundesamt nur 43% der deutschen Bevölkerung angaben einmal von Nachhaltigkeit gehört zu haben(1), so ermittelte das Marktforschungsinstitut des GfK-Vereins für 2016 einen Bekanntheitsgrad von 88%.(2)
Doch was ist davon zu halten, wenn in der gleichen Analyse lediglich etwa ein Drittel der Befragten eine Assoziation
mit dem Begriff benannten? An erster Stelle rangierte Umweltschutz, doch nur noch 18% verbanden mit Nachhaltigkeit das Thema Ressourcensparen. Ebenfalls ergaben sich deutlich schwächere Wert bei
jungen Menschen zwischen 14 und 34 Jahren als im Vergleich mit der Generation, die im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert politische und mediale Berichterstattung bewusst miterleben
konnte.
Diese Wissensassymetrie durch das Bildungssystem ausgeglichen
werden. Gerade
unter jungen Menschen findet sich durchaus eine hohe Sensibilität hinsichtlich der Gefahren durch Klimawandel und Umweltverschmutzung, sowie eine positive Grundeinstellung gegenüber Klima- und
Umweltschutzmaßnahmen. Spätestens mit dem Aufkommen der FridaysForFuture-Bewegung hat Nachhaltigkeit eine positive Aufwertung gerade bei Jugendlichen erfahren. Dennoch besteht ein erhebliches
Wissensdefizit über tiefer liegende Zusammenhänge von Klimawandel und Umweltproblemen sowie ein enormes Informations- und Aufklärungsdefizit auch über praktische Möglichkeiten des Klima- und
Umweltschutzes.
Heranwachsende sind angewiesen auf fachkundige Aufklärung durch ihr privates Umfeld – und der Bildungseinrichtungen. Doch den Schulen fällt es offensichtlich schwer, die mediale bzw.
gesellschaftliche Diskussion der vergangenen Jahrzehnte durch curriculare Einbindung zu verstetigen.
Von der Idee her zwar interdisziplinär angelegt bieten sich jedoch bestimmte Schulfächer, denen die Vermittlung von Nachhaltigkeit besonders obliegen würde: Biologie und Geographie, Politik,
Sozialkunde und insbesondere die Wirtschaftlehre. Denn Soziales und Ökologisches ist dem Konzept gemäß nicht von ökonomischen Fragestellungen zu trennen.
Jedoch volkswirtschaftliche Lehrbücher verstehen die umfassende Bedeutung des
Ansatzes teilweise selber nicht. So wird in dem Lehrbuch “Praxisorientierte Volkswirtschaft für das Fachgymnasium” (2008) aus dem Merkur-Verlag der Begriff des nachhaltigen Wirtschaftens auf Seite
538 eingeführt und zwar als “zentrales Leitbild der Umweltschutzpolitik” [meine Hervorhebung], sogar nachdem in den Abschnitten zuvor bereits von Emissionszertifikaten anderen Instrumenten
der Umweltpolitik die Rede war. Oft wird Nachhaltigkeit mit „Umweltschutz” verwechselt, verkürzt auf den (wenngleich notwendigen) Ausbau erneuerbarer Energien. Und wo das Konzept doch thematisiert
wird, wird es in der darauf folgenden Unterrichtsstunde durch die unkritische Vermittlung reduktionistischer Modelle der ökonomischen Neoklassik konterkariert. Die jungen Menschen werden verwirrt:
Wie soll eine zukunftsfähige "stationäre Wirtschaft" erreicht werden, wenn Marktsysteme vermeintlich dem Wachstumszwang unterworfen sind? (An der Frage der Wachstumsgläubigkeit scheiden sich vermutlich die Geister zwischen konventioneller und
nachhaltiger Ökonomik, siehe dazu das entsprechende Kapitel bei den Unterrichtsthemen.)
Nachhaltigkeitsliteratur gibt es seit 30 Jahren in Hülle und Fülle. Speziell für Schulzwecke konzipiert: Auf der Grundlage der
Leitbilder in der BUND-/Misereor Studie “Zukunftsfähiges Deutschland” von 1996 veröffentlichte das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen ein Handbuch mit einer
Vielzahl an durchdachten Unterrichtsmaterialien, die junge Menschen, die die gesellschaftliche Diskussion der vergangenen Jahrzehnte nicht miterlebt haben, an das Thema heranführen. Eine
Weiterentwicklung stellt "Mut zur Nachhaltigkeit" dar, Lernmodule, die die Nachhaltigkeitsthematik für Schülerhand systematisch und fachwissenschaftlich fundiert
aufbereiten. All jene Versuche der systematischen Durchdringung würden jedoch ein eigenes Unterrichtsfach voraussetzen, eine Forderung, die bislang kaum erhoben worden ist. Bestenfalls in
Projektwochen werden Rumpfelemente der Materialien verwendet.
Und so bleibt als Problem in der weitflächigen Umsetzung, dass ökonomische Lehrpläne kaum Platz für eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit lassen. Oft obliegt es der
Interessenslage des einzelnen Lehrers, ob und in welchem Ausmaß es behandelt wird. Da alte Lerninhalte auch nicht ersetzt wurden, stehen klassische ökonomische Themen oft neben der aktuellen
Nachhaltigkeitsdebatte, die dann wie aufgepfropft erscheint. Widersprüche sind dabei vorprogrammiert. Wenn Nachhaltige Entwicklung jedoch – wie in politischen Sonntagsreden gerne betont – tatsächlich
als neues gesellschaftliches Paradigma gemeint ist, so sollte es auch im Unterricht als durchgängiges Konzept beachtet werden.
Dieses Ziel verfolgt diese Webseite. ALTE Lerninhalte bleiben erhalten, werden jedoch im Lichte der NEUEN Diskussion aufgefrischt. Dies erscheint solange notwendig, wie die Curricula nicht von
Grundauf überarbeitet und mutige Schnitte zur Trennung oder Überarbeitung von klassischen Unterrichtsthemen gemacht worden sind (zur Relevanz des neoklassisch-ausgerichteten VWL-Unterrichts beachten Sie bitte die
entsprechende Fundamentalkritik). Diese Neubewertung soll es dem praktizierenden VWL-Lehrer erleichtern, die Themen mit kritischer Distanz und aktuellen Gewichtungen zu
behandeln ohne gleich den gesammten Lehrplan in Frage zu stellen oder selber überarbeiten zu müssen.
Die Essayisten beschreiben bereits den laufenden Wandel der Weltgeschichte. Doch in den Schulen wird weitestgehend “Business as Usual” unterrichtet,
Sie drohen den Anschluss an die Gegenwart zu verlieren, geschweige denn einer lebenswerten Zukunft den Boden zu bereiten.
Die ist ein Plädoyer für eine neue schulische Diskussion über das Paradigma der Nachhaltigkeit – oder seine Nachfolger wie etwa die sogenannte Postwachstumsökonomie? Eine Diskussion, die unter den Lehrenden, mit den Schülerinnen und Schülern
und mit den Bildungsträgern geführt werden
sollte.
(1) Umweltbundesamt (Hrsg.): Umweltbewusstsein in Deutschland 2010 - Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltbewusstsein-in-deutschland-2010
(2) Nuremberg Institute for Market Decisions: „Nachhaltigkeit – mehr als eine Worthülse.“ https://www.nim.org/compact/fokusthemen/nachhaltigkeit-mehr-als-eine-worthuelse