Die allgegenwärtige Manipulation durch Sprache beginnt bereits mit dieser Überschrift. Schon vom lateinischen Wortstamm her beinhaltet das Wort „Manipulation“ die Vorstellung, dass irgendwie die Hand einer übergeordneten Macht im Spiel ist. Und in vielen Fällen trifft dies ja auch zu. Aber nicht in allen. Sprache „manipuliert“ auch, wenn sie ohne bewusste Zielsetzung des Sprechenden eingesetzt wird. Korrekter wäre also der Begriff „Beeinflussung“. Nur eignet sich dieser schlechter als reißerischer Titel auch für eine Webseite zum Thema „linguistische Kritik am ökonomischen Fachjargon“...
Tatsächlich arbeiten Millionen von Menschen in Werbe-, PR-Agenturen von Unternehmen, Organisationen, Medien und Parteien Tag für Tag, um die Öffentlichkeit im eigenen Sinne zu beeinflussen. Eines der wirkmächtigsten Instrumente ist dabei die Sprache - oder, moderner ausgedrückt, das Wording, die Sprachregelung, das Narrativ.
Wehren dagegen kann man sich nur durch Bewusstmachung. Denn jedes Wort einer Sprache beinhaltet eine Wolke an „Konnotationen“ und „Assoziationen“, die bei den Hörer*innen oder Leser*innen geweckt werden. Im Bereich der Geschlechterzuordnung ist die Wirkmächtigkeit seit einigen Jahren auch durch das sogenannte „Gendern“ einer breiten Öffentlichkeit bewusst geworden. Auch wenn die dabei diskutierten neuen Sprachregelungen von manchen Menschen als Bevormundung einer „Sprachpolizei“ abgelehnt werden, so kann niemand bestreiten, dass die deutsche Sprache ohne Anstrengungen zum Gendern oftmals einseitige Geschlechterassoziationen beinhaltet. Wenn ich meine Kollegin einem Dritten gegenüber als „Lehrer“ bezeichne, wird dieser (oder diese??) automatisch auf einen männlichen Kollegen schließen.
Auch im Bereich „politisch-korrekter“ Sprache hat die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten dazugelernt. Es ist den allermeisten Menschen klar, dass gesellschaftliche Gruppen oder Kulturen durch die verwendeten Bezeichnungen diffamiert und ausgegrenzt werden können. Unermessliches Leid ist dadurch in der menschlichen Geschichte produziert worden - vermeidbar in wenigstens jenen Fällen, in denen solche Begriffe unbedacht und ohne bewusst ausgrenzende Wirkung benutzt wurden.
Sehr wenig Aufmerksamkeit genießt dagegen eine ökonomische Fachsprache, die Eingeweihten als Selbstverständlichkeit erscheint und durch ihre Wissenschaftlichkeit ein Autoritätsgefälle erzeugt. Doch werden ökonomische Diskurse stärker als jene anderer Wissenschaften durch eine nicht in der Fachsprache ausgebildete Öffentlichkeit übernommen und damit Vorstellungen und Narrative über die Wirtschaft gespeist, die ihrerseits wiederum auf akademische Wirtschaftstheorien zurückfallen. Eine stärkere Bewusstmachung von Falltüren und im Endeffekt manipulativen Sprachbildern ist mithin Voraussetzung für eine Hinterfragung, Neubewertung und Weiterentwicklung von ökonomischer Theorie - gerade auch im Sinne der Nachhaltigen Entwicklung.
In den letzten Jahren sind hier auch einige publizistische Aktivitäten entstanden. Die Initiative der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat durch ihre Wahl zum „Unwort des Jahres“ mittlerweile ein breites Medienecho ausgelöst. Des Weiteren beschäftigen sich Verfasser*innen von Sachbüchern ebenfalls mit der Wirkung und der Beeinflussung durch Sprache. Zwei Bücher der vergangenen Jahre liegen auch meinen Ausführungen zur Thematik zu Grunde.
Mit ihrem Sachbuch „Die Sprache des Kapitalismus“(1) haben der Literatur- und Kulturwissenschaftler Simon Sahner und der Ökonom Daniel Stähr eine gut lesbare Streitschrift vorgelegt, die zum bewussteren Umgang mit unserer Alltagssprache aufruft. Ihre Ausführungen tangieren die Wirtschaftsdidaktik nur indirekt, denn ihre Kritik richtet sich an die Allgemeinheit, die populär- und vulgärwissenschaftliche Interpretationen des wirtschaftlichen Geschehens unreflektiert oder (im Falle von PR) bewusst manipulativ in ihre Narrative überführt. Da Wirtschaftsunterricht aber in genau diesem gesellschaftlichen Umfeld stattfindet, ist die Lektüre des Buches zum Verständnis des von Lernenden transportierten Hintergrundwissens sicherlich ausgesprochen wertvoll.
Typische Sprachphänomene in ökonomischen Diskursen sind:
Mythen: Kapitalistische Selbsterzählungen von profilierten Unternehmensgründern wie Steve Jobs oder Elon Musk etablieren ökonomische Narrative wie jenes vom „Tellerwäscher zum Millionär“. Was solche Mythen ausspraren, ist der Anteil der Gesellschaft bzw. des Staates an ihrem Unternehmenserfolg. So hat die Ökonomin Mariana Mazzucato am Beispiel des Smartphones aus dem Hause Apple nachvollzogen, dass praktisch keine der dortigen Innovationen von Steve Jobs oder Apple selbst erfunden wurde, sondern alles durch staatlich finanzierte Forschung entwickelt worden war und lediglich (oder immerhin..) durch eine geeignete Montage mit herausragender Ästethik zum Markterfolg gebracht wurde.(6)
Erzählungen/Narrative: Während die Nutzung von potentiell manipulativer Sprache in PR-Abteilungen und Werbeagenturen für die meisten Leser*innen sicherlich keine Erkenntnis sein dürfte, so bemerkenswert ist die Analyse von Filmen, die vermeintlich eine kapitalismuskritische Handlung haben. Die Autoren unterstellen zum Beispiel den Filmen Wolf of Wall Street oder American Psycho, die plakativ vor sich hergetragene Kritik am Finanzkapitalismus dadurch zu entwerten, dass sie ihre Hauptdarsteller als ziemlich coole Typen inszenieren, die durch ihre laxe Moral einem ausufernden Hedonismus frönen. Für viele unkritische Betrachter*innen käme die Systemkritik zu kurz und erschiene der Reiz der porträtierten Glitzerwelt des Kapitalismus überzeugender als der intellektuelle Subtext. Der Hauptdarsteller Gekko „hat alles, was in den Grenzen einer kapitalistischen und patriarchalischen Leistungsgesellschaft erstrebenswert ist. Er sieht gut aus, hat ein riesiges Büro in Manhattan, eine Villa am Strand, attraktive junge Frauen um sich herum und ist darüber schlagfertig und cool. Dass er […] am Ende des Films wegen illegaler Insider-Tradings ins Gefängnis muss, mutet wie eine Fußnote an, die der Film pflichtschuldig anfügt.“(7) Ähnlich wie es mit den Erzähltraditionen Hollywoods nahezu unmöglich sei, einen wirklich kriegskritischen Film zu produzieren, der nicht gleichzeitig den Krieg als Ort der individuellen Reifung und des persönlichen Siegs glorifiziert, so sorgen Ästhetik, aber auch die Sprache dafür, dass auch im systemkritischen Film der Kapitalismus als überlegenes Wirtschaftssystem letzten Endes immer als Gewinner herauskommt.
Eine Vielzahl weiterer interessanter Beispiele aus der Alltagskultur macht das Buch von Simon Sahner und Daniel Stähr zu einer spannenden Lektüre. Auch sind ihre kritischen Gedanken auch zu vermeintlich transformativen Begriffen wie „Klimaneutralität“, „Grünes Wachstum“ oder dem „ökologischem Fußabdruck“ für Nachhaltigkeitsaktive mehr als bedenkenswert.
Einziges Manko ist, dass sie die Sprachkritik für die Entwicklung eines neuen Gesellschaftsmodells jenseits des „Kapitalismus“ vielleicht etwas überbewerten. Ihre Rückführung fast jedes kulturellen Phänomens auf den „Kapitalismus“ erscheint manchmal etwas ideologisch. Es bleibt am Ende auch offen, wie sie den Übergang vom aktuellen System zum Postkapitalismus schaffen wollen, wenn sie zum Beispiel Lösungsansätze wie Umweltsteuern oder CO2-Lizenzen als Teil einer kapitalistischen Erzählung ebenfalls ablehnen.(8) Am Ende des Tages wird eine sozial-ökologische Transformation aber nicht zur Wirklichkeit werden, wenn sie nicht sprachlich flankiert wird. Was das Buch von Simon Sahner und Daniel Stähr lehrt, auch Gegenerzählungen zu kapitalistischen Narrativen sind vor manipulativem Potential nicht gefeit. Und dieses Potential legen sie ihrer Leserschaft erfolgreich frei.
Während Sahner/Stähr in ihrem Buch die gesellschaftliche Kultur betrachten und wie sie mit Begriffen und Narrativen aus ökonomischen Kategorien durchsetzt ist, thematisiert der englische Erfolgsautor John Lanchester (sein Finanzmarkt-Roman „Das Kapital“ bescherte ihm 2012 den Durchbruch auch in den deutschsprachigen Bestseller-Listen) explizit die in Ökonomenkreisen gepflegte Fachsprache. In seinem Sachbuch „Die Sprache des Geldes – Und warum wir sie nicht verstehen (sollen)“(9) konzentriert sich der Spross einer Bankerfamilie auf die Darstellung der Terminologie, die auf den Finanzmärkten zum Allgemeingut gehört, die jedoch Außenstehenden ohne fachliche Ausbildung das Verständnis komplexer, teilweise aber auch einfachster Zusammenhänge erschwert oder sogar unmöglich macht. Er verdeutlicht, weshalb gerade diese Geheimniskrämerei der Finanzbranche das Entstehen der Weltfinanzkrise seit 2008 erst ermöglichte und immer noch verhindert, dass systemrelevante Reformen des Banken- und Finanzsektors angegangen werden.
Lanchesters Buch beinhaltet neben einer längeren Einleitung und einem ebenso umfassenden Ausblick in die Wirtschafts- und Finanzpolitik ein umfangreiches Glossar von vorwiegend finanztechnischen Fachbegriffen. Allgemeine Wirtschaftstheorie wird nur am Rande behandelt, aber auch hier finden sich einige erhellende Übersetzungen des ökonomischen „Fachchinesisch“ in allgemein verständliche Umgangssprache.
Seine Sprachkritik zielt im Wesentlichen auf zwei Probleme des ökonomisch-finanztechnischen Diskurses:
Ökonomisches „Fachchinesisch“
Die Existenz von Fachsprachen liegt in der Natur der Sache. Weinkenner haben ein riesiges Repertoire an Begrifflichkeiten entwickelt, um einen Spitzenwein von einem billigen Fusel zu unterscheiden. Ihre langjährige Erfahrung aus Weinproben hat ihre Gaumen und Zungen so verfeinert, dass ihre Sprache auch für Gelegenheits-Weintrinker unverständlich bleibt.
Somit ist gegen einen ökonomischen Fachjargon vom Grundsatz her nichts einzuwenden. Man kann eben auch nicht erwarten, Diskurse von Experten und Wissenschaftlern nachzuvollziehen, wenn man nicht bereit ist Anstrengungen zu unternehmen, neben den fachlichen Zusammenhängen auch die zugehörige Sprache zu erwerben.
Dennoch beklagt Lanchester auch ein Stück die Ausgrenzung der medialen Öffentlichkeit seitens der Banken- und Versicherungswirtschaft. Denn nicht alle Finanzmarktvorgänge sind so kompliziert, wie es die Fachterminologie glauben machen will: „Inflation“ ist ja noch hinlänglich bekannt und bezeichnet eine allgemeine Preissteigerung (bzw. die Geldentwertung). Neuer und noch relativ unverständlich erscheint die „Austerität“, welche einfach eine Senkung der Staatsausgaben darstellt. Ein „Haircut“ ist ein massiver Vermögensverlust durch eine fehlgeschlagene Finanzanlage – hier meint Lanchester, dass „viele Finanzleute den saloppen, machohaften Klang dieses Begriffs ziemlich cool“(10) finden.
Insgesamt begeht Lanchester nicht den Fehler an Verschwörungstheorien zu stricken. Selbst wenn im Einzelfall die Finanzbranche kein Interesse daran haben mag, dass Kunden oder die mediale Öffentlichkeit ihre Geschäftsgebaren zur Gänze verstehen, so erklärt sich die Komplexität der Fachsprache einfach auch mit den multiplen Zusammenhängen zwischen Realwirtschaft, Finanzmarktprodukten und Finanzmarktrecht. Der reißerische Titel des Buches, der unterstellt, dass böse Mächte uns am Verständnis der Finanzmärkte hindern wollen, dürfte vom Verlag aus Marketing-Gründen gewählt worden sein. Als roter Faden in Lanchesters Argumentation lässt sich die bewusste Irreführung nicht feststellen.
Euphemismen und „Gegenteilisierungen“
Nichtsdestotrotz ist die Finanzmarktsprache durchzogen von Fachbegriffen, die sich von ihrer wörtlichen Bedeutung oder ihrer ursprünglichen Bewandtnis weit entfernt haben. Sprachentwicklung verläuft zu dynamisch, zu unberechenbar, als dass man für jede Wortneuschöpfung eine bewusste Irreführung unterstellen könnte. Lanchester zeigt auch an zahlreichen Beispielen, wie eine vielfältige historische Entwicklung von Fachtermini ablief.
Gerade Wirtschaftspädagog*innen sollten sich bewusst sein, dass der unflektierte Gebrauch von Fachvokabular Vorstellungen und Weltbilder prägt, die der Realität nicht immer gerecht werden. Besonders gefährlich sind hier die von Lanchester dargestellten „Gegenteilisierungen“ (im englischen Orginal: reversification). Dabei handelt es sich um Begriffe, die inzwischen das genaue Gegenteil von dem bedeuten, was ihr wörtlicher Stamm einmal beinhaltet hat. Einige der von Lanchester vorgestellten Beispiele lassen sich im Deutschen jedoch nicht nachvollziehen. So bedeutet „Hedgefond“ heute eine Anlageform, mit der besonders große Risiken verbunden sind; der Begriff hat sich grundlegend geändert, denn „to hedge“ bezeichnete ursprünglich das Eingrenzen von Risiken. Auch „Bail-out“, die Rettung von insolventen Banken oder Staaten durch Staatshilfen, d.h. Geldspritzen, ist das genaue Gegenteil der eigentlichen Bedeutung des Ausschöpfens von Wasser aus einem leckgeschlagenen Boot. Deutsche Muttersprachler*innen kennen allerdings in der Regel nur die finanzmarkttechnische Bedeutung und werden durch die Alltagssemantik des – wenn auch erklärungsbedürftigen – Fachbegriffs nicht unnötig in die Irre geführt.
Andere Begriffe müssen aber auch im Deutschen mit Vorsicht genossen werden:
Die Liste ließe sich noch fortsetzen.
Beschönigungen (Euphemismen) sind sowohl in der Werbung als auch im politischen Geschäft an der Tagesordnung. In gewissem Maße rechnen wir auch als Kund*innen oder Wähler*innen damit, dass ein gewisses Maß an „Bullshit“, d.h. „Beschiss“, untrennbar mit menschlichen (Wirtschafts-)Beziehungen verbunden ist – und Lanchester weist darauf hin, dass es auch Spaß machen kann, die versteckten Bedeutungen von Sprache zu entschlüsseln. Kund*innen nehmen ohne mit der Wimper zu zucken den „Sonderrabatt“ eines Händlers mit, obwohl allen klar, ist, dass dieser Sonderrabatt als Teil des üblichen Verkaufsprozesses bereits in den Listenpreis bereits einkalkuliert wurde. Übertreibungen und „kleine Lügen“ werden - gerade im Wirtschaftsleben - gesellschaftlich akzeptiert. Mit den Worten des Internet-Aktivisten John Perry Barlow gesprochen: „Die Schlitten, mit denen wir in die Zukunft rauschen, sind mit Bullshit geschmiert.“(16)
Pädagog*innen stehen jedoch in einer anderen Verantwortung. Nichts ist kontraproduktiver als ein zynischer Unterricht, der entweder kommentarlos die Irreführung junger Menschen in Werbung und Politik kopiert oder aber Frustrationen über den Zustand der Menschheit reflektiert. Auch Lanchester konstatiert, dass selbst „Bullshit“ am Ende auch nicht ohne Konsequenzen bleibt, weil er mittelfristig das Vertrauen in seinen Gegenüber untergräbt. Darum ist es wichtig, mit Bedacht auf Doppeldeutigkeiten, Ambivalenzen und unterschwellige Botschaften wirtschaftswissenschaftlicher Fachbegriffe einzugehen.
Lanchesters Zusammenstellung des Finanzmarktjargons ist erhellend und amüsant zu lesen. Vor allem für Wirtschaftspädagog*innen im Bereich Bank- und Versicherungswesen dürften auch die (hier nicht erwähnten) tiefergehenden Ausführungen neue Sichtweisen eröffnen.
Ökonomische „Unworte des Jahres“
Kritik der ökonomischen Sprache ist nicht neu. Ausgehend von einer Initiative der Gesellschaft für deutsche Sprache 1991 versucht die Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres alljährlich mehr Sprachbewusstheit anzuregen. Indem sie das „Unwort des jahres“ kürt, legt sie sozialpolitische, ideologische und psychologische Bewusstseinshaltungen des Sprachgebrauchs in den Medien offen. Zumeist handelt es sich um Schlagworte aus politischen oder medialen Debatten und erfreulicherweise lässt sich feststellen, dass die unmenschlichsten Wortkreationen nach ihrer Brandmarkung durch die Jury nur noch wenig in Erscheinung treten.
Wohl ist der „Sieger“ der Wahl des Jahres 2004 als vom US-amerikanischen Ökonomen Theodore Schultz geprägter Fachbegriff weiterhin Standard(20), allerdings wurde seine ubiquitäre Verwendung in den Medien eingegrenzt: „Humankapital“ degradiere Menschen zu nur noch ökonomisch interessanten Größen, führte die Jury aus. Gerade weil die Bildung von Humankapital als Resultat von unternehmerischen Investititionen in das Know-how der Arbeitskräfte einen fachwissenschaftlich etablierter Zusammenhang darstellt, bietet sich hier ein Exkurs zum Thema Sprachbewusstheit auch in der Wirtschaftspädagogik an.
Neben dem „Unwort“ publiziert die Sprachkritische Aktion auch weitere Begriffe, die in den Medien meistens keine Erwähnung finden. So wurde im Jahr 2003 der damals übliche Euphemismus der „Angebotsoptimierungen“ gerügt, der eine Einschränkung des Services von Dienstleistungsunternehmen aus Kostengründen beschönigte. Und 2004 schaffte es das umweltökonomische Instrument der „Luftverschmutzungsrechte“ auf den dritten Platz der Jury. Folglich spricht auch die Wissenschaft heute wieder lieber von „Emissionslizenzen“ - allerdings liegt hier aus umweltethischer Sicht wieder ein Fall von Fachchinesisch vor, der die Frage, ob der Mensch wirklich das Recht hat, die Umwelt zu verschmutzen, unreflektiert übergeht. Aber das tun ja auch unsere Filmhelden mit der „Lizenz zu töten“...
2008 fiel der Begriff der „notleidenden Banken“ unangenehm auf, denn er wurde moralisierend zur steuerfinanzierten Übernahme von geplatzten Bankkrediten verwendet (was in mehreren Fällen von Bankenvorständen sofort zur Erhöhung ihrer persönlichen Boni genutzt wurde).
In den letzten Jahren hat sich die Jury nur noch wenig mit ökonomischen Grundbegriffen auseinander gesetzt. Der mediale Boulevard sorgt bei der Darbietung von „Euro-Krise“, „Flüchtlingen“, „Terrorgefahr“ oder „Remigration“ auch so für genügend Anlass zur Sprachkritik.(21)
Einseitige Perspektivbegriffe
In der Wirtschaft geht es fast immer um den Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Daher verwendet jede Seite gerne eine Sprache, die ihre Argumente begünstigt. Begriffe können daher eine ideologische, politische oder sogar wissenschaftstheoretische Schlagseite enthalten, die oftmals überhaupt nicht mehr auffällt - vor allem wenn der Begriff in die Alltagssprache eingegangen ist.
Im Jahr 2013 benannte der Schriftsteller Ingo Schultze (als Gastmitglied der Jury der Sprachkritischen Aktion) das Begriffspaar „Arbeitnehmer/Arbeitgeber“ als sein persönliches Unwort. Seiner Begründung ist ökonomisch wie gesellschaftspolitisch nichts hinzuzufügen:
„Geht man von der grundlegenden Bedeutung von Arbeit als Leistung/Arbeitskraft aus, dann verkehrt das Wortpaar in dramatischer Weise die
tatsächlichen Verhältnisse: Wer die Arbeit leistet, gibt, verkauft, wird zum Arbeitnehmer degradiert – wer sie nimmt, bezahlt und von ihr profitiert, zum Arbeitgeber erhoben. Die biblische Wendung
„Geben ist seliger als Nehmen“ klingt bei diesem Begriffspaar unterschwellig immer mit. Aber auch wer den Begriff Arbeit in seiner abgeleiteten institutionellen Bedeutung als Arbeitsstelle begreift –
Arbeitgeber als jene, die die Arbeitsstelle zur Verfügung stellen, also „Arbeitsplätze schaffen“ –, unterschlägt, dass diese Arbeitsstelle (sei es die Maschine, der Bürotisch oder die
Computersoftware) ja auch erst durch Arbeit geschaffen werden musste. Diese sprachliche Perspektivierung, die für eine bestimmte Denkhaltung steht (z. B. dass es ohne Arbeitgeber keine Arbeit gebe)
und diese als die gültige zementiert, wurde schon von Friedrich Engels und Karl Marx kritisiert.“(22)
Der Widerspruch sollte gerade im Zusammenhang mit dem neoklassischen Arbeitsmarktmodell auffallen, denn auch dort fungiert der Privathaushalt ja als Anbieter seiner Arbeitskraft und das Unternehmen als Nachfrager, was gerade im Falle junger Lernender Anlass für Verständnisprobleme mit sich bringt (ausführlicher im Kapitel Arbeitsmarkt).
Weitere Perspektivbegriffe:
Containerbegriffe
Containerbegriffe repräsentieren Bereiche des Lebens, die sich durch eine hohe Komplexität auszeichnen. Oftmals handelt es sich um abstrakte Konzepte, die nur schwer zu definieren sind und von den Menschen jeweis anders verstanden werden können. Im persönlichen Bereich haben wir alle schon die Falltüren erlebt, die der Containerbegriff „Liebe“ mit sich bringt. Liebe kann Romantik, Erregung, Vertrauen oder Sehnsucht mit sich bringen, daher ergeben sich daraus auch oft die größten Missverständnisse des Lebens.
Gerade Sozialwissenschaften wie die Wirtschaftswissenschaft müssen sich auch Containerbegriffen bedienen, die sie allerdings zu definieren suchen. In der wirtschaftswissenschaftlichen Publizistik, in den Medien und im Alltag werden Begriffe aber oftmals nicht so klar umrissen.
Irrtümer verursacht durch die Wirtschaftsdidaktik
Der Hintergrund zu dieser Webseite liegt in der Tatsache, dass die Wirtschaftspädagogik dringend einer Aktualisierung bedarf, um mit Anforderungen des 21. Jahrhunderts - welche vor allem in der Nachhaltigkeit der Entwicklung besteht - Schritt halten zu können. Auch in den Unterrichtseinheiten zu den verschiedenen Themen klingt immer wieder an, dass gerade eine unklare oder missverständliche Begriffsbildung dafür verantwortlich sein könnte, weshalb sich bestimmte Sachfehler oder Fehlinterpretationen ökonomischer Modelle eingeschlichen haben.
Missverständliche Begriffsbildung in der Öffentlichkeit
Des Weiteren haben sich Schlagworte, die sich in Wirtschaftspublizistik und öffentlichen Debatten etabliert haben, auch in der Wirtschaftspädagogik breit gemacht. Da Lehrkräfte wie Lernende solche Begriffe mit in den Wirtschaftsunterricht mitbringen, sollte hier ein besonderer Wert auf linguistische Klarstellung gelegt werden.
Unterschiedliche Begriffsbildungen in Fachwissenschaft und Alltagssprache
Schließlich sei noch auf Irrungen und Missverständnisse hingewiesen, die aus einem unterschiedlichen Gebrauch bestimmter Begriffe in der fachwissenschaftlichen Theorie und in Alltags- bzw. Umgangssprache herrühren.
Um den Erkenntnisgegenstand der Ökonomik erfassen zu können, bedarf es – wie in jeder Fachwissenschaft - eines speziellen begrifflichen Instrumentariums. Die obigen Ausführungen zeigen jedoch, dass einige Fallstricke und Missverständnisse bereits in traditionellen Begrifflichkeiten liegen, andere werden durch populärwissenschaftliche Diskussionen in Politik, Medien und Öffentlichkeit erzeugt. Es sollte eine wichtige Aufgabe des schulischen Wirtschaftsunterrichts sein, hier für konstruktive Aufklärung zu sorgen.
(1) Sahner, Simon/Stähr, Daniel: Die Sprache des Kapitalismus. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2024.
(2) Ebenda, S. 42ff.
(3) Ebenda, S. 32ff.
(4) Ebenda, S. 31.
(5) Ebenda, S. 54.
(6) Ebenda, S. 209.
(7) Ebenda, S. 162ff.
(8) Ebenda, S. 237ff.
(9) Lanchester, John: Die Sprache des Geldes - Und warum wir sie nicht verstehen (sollen). Klett-Cotta, Stuttgart 2015.
(10) Ebenda, S. 167.
(11) Ebenda, S.240.
(12) Ebenda, S.244.
(13) Ebenda, S. 248
(14) Ebenda, S. 266f
(15) Ebenda, S. 269
(16) Ebenda, S. 117
(17) Ebenda, S. 94
(18) Ebenda, S. Vgl. S.25
(19) Ebenda, S. S. 90
(20) Theodore W. Schultz: "Investment in human capital." In: American Economic Review, 51.1, 1961, S. 1-17.
(21) Vgl. Gürses, Hakan „‘Flüchtlingskrise‘: Wie Sprache unsere Welt formt.“ In: Der Standard Online, 18.4.2016. http://derstandard.at/2000034981638/Fluechtlingskrise-Wie-Sprache-unsere-Welt-formt
(22) http://www.unwortdesjahres.net/index.php?id=35
(23) http://www.welt.de/wirtschaft/article150487064/Angst-vor-US-Rezession-laehmt-die-Welt.html