Wie wird unsere Gesellschaft zukunftsfähig? Wie stoppen wir den Klimawandel? Wie groß ist mein ökologischer Fußabdruck? Was bedeutet Ressourceneffizienz? Wie funktioniert eine Kreislaufwirtschaft?
Fragen über Fragen, die uns heute umtreiben. Besonders bedeutsam sind sie für junge Menschen, denen aktuellen Studien zufolge immer bewusster wird, dass ihre Zukunft angesichts des ungebremsten Bevölkerungswachstums und des wachsenden Ressourcenhungers der Welt entscheidend von der Lösung dieser Fragen abhängt.
Antworten werden in den Medien zumeist von der Politik erwartet. Jugendliche erwarten Antworten auch von der Schule. In Zeiten der immer unübersichtlicher werdenden Informationsflut hat sie vor allem die Aufgabe, Prioritäten zu setzen und in dem Wust an elektronisch verfügbaren Daten Strukturen herauszuarbeiten.
Mit entscheidend sind hier ökonomische Strukturen. Ohne ein Mindestmaß an Wirtschaftskompetenz fehlt jungen Menschen auch in Prozessen politischer Meinungsbildung der Durchblick. Demokratiebildung erfordert also auch Wirtschaftsbildung. Insofern erscheint die Idee der neuen nordrhein-westfälischen Landesregierung, das Fach Wirtschaft zum Pflichtfach für alle zu machen, eigentlich gar nicht so verkehrt. Gerne verweist Bildungsministerin Yvonne Gebauer auf den Tweet einer Kölner Abiturientin vor zwei Jahren, die darin beklagte zwar Gedichte interpretieren zu können, aber keine Ahnung von Mietverträgen und Steuern zu haben.
Ob nun die Freude an Lyrik oder das Verständnis von Kleingedrucktem für das Leben bedeutsamer sind, sei dahingestellt. Die Politik, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, hat sich festgelegt. Das Fach Wirtschaft wird kommen.
Spannend wird in den kommenden Monaten sein, welchen Zuschnitt das Fach erhält. Was werden unsere Kinder in den kommenden Jahren mit auf den Weg bekommen? Anhänger des allgemein bildenden Fachs Wirtschaft sprechen gerne von mehr Verbraucherbildung. Unternehmensverbände fordern aber auch mehr Kompetenzen, die zur Entwicklung von Unternehmergeist anregen.
In Düsseldorf macht sich die Lokale Agenda schon länger Gedanken darüber, welchen Beitrag Bildung für eine nachhaltige Gesellschaft leisten kann. Dabei kam man schon früh auf die Rolle von Schulbüchern. Schulbücher stecken als Arbeitsmaterial ja nicht nur in den Ranzen der Jüngsten. Auch in Zeiten von „Digitalisierung der Bildung“ und der „grenzenlosen“ Verfügbarkeit von Internetwissen spielen sie weiterhin eine wichtige Rolle für die Unterrichtsgestaltung von Lehrpersonen. Denn Lehrbüchern vertraut man mehr als oftmals undurchsichtigen Quellen im Netz. Dabei ist es eine Handvoll von Verlagen und Lehrbüchern, die die ökonomische Bildung an Düsseldorfer, Kieler und Leipziger Schulen maßgeblich prägen. Neun davon waren Gegenstand der Schulbuchstudie der Düsseldorfer Agenda zur Frage der Nachhaltigkeit in volkswirtschaftlichen Lehrwerken.
Nicht dass Lehrbuchautorinnen und -autoren nicht um Aktualität bemüht wären. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist in den meisten Bildungsplänen und in den von Verlagen publizierten Lehrbüchern angekommen. Die Globalisierung als Megatrend der vergangenen 30 Jahre wird schon heute ausführlich in den Darstellungen integriert. Doch fehlt es an einer konsistenten Aufbereitung und der Beschreibung von Wegen hin zur zukunftsfähigen Gesellschaft. Noch immer bildet das Stabilitätsgesetz von 1967(!) den Kern der wirtschaftspolitischen Analyse. Kein Wort indes von der neuen „Heiligen Kuh“ der Finanzpolitik, der sogenannten „Schwarzen Null“. Alle Welt spricht vom „Fairen Handel“, doch in VWL-Büchern sucht man den Begriff ebenso vergebens wie die Möglichkeiten des Recyclings oder Diskussionen um das „bedingungslose Grundeinkommen“ und um die „Postwachstumsgesellschaft“. Noch immer gilt der Freihandel als der Weg zu Wohlstand und Arbeit. Und selbst wenn die „Grenzen des Wachstums“ thematisiert werden, die angebotenen Konjunkturtheorien gehen wie selbstverständlich von der Möglichkeit unbegrenzten Wirtschaftswachstums aus.
Zivilgesellschaftliche Gruppen diskutieren schon lange über diese Fragen. Doch wenn der schulische Wirtschaftsunterricht öffentliche Diskussionen um die obigen Begriffe übergeht, werden weite Teile der Bevölkerung von zukunftsweisenden Debatten ausgeschlossen. Es geht um nicht weniger als gesellschaftliche Teilhabe. Die Schule ist ja eine der wenigen Möglichkeiten, alle Milieus gleichermaßen zu erreichen. So begrüßenswert eine stärkere Berücksichtigung von Verbraucherbildung wäre, als Teil des neuen Fachs greift sie zu kurz. Die Kenntnis von Bio- und Fairtrade-Labels verträgt sich bestens mit einer „neoliberalen“ Marktgesellschaft, in der die Verantwortung für die Transformation zur Nachhaltigkeit der bzw. dem Einzelnen aufgeladen wird. Eine wirklich nachhaltige Wirtschaftslehre würde auch gesellschaftliche Bedingungen von Produktion, Arbeitsverhältnissen und ihren Wechselwirkungen mit Ressourcenvorkommen und der Natur thematisieren.
Gerade Schulbücher übergehen weiterhin die politische Dimension von Wirtschaft, denn Lösungswege werden praktisch nicht behandelt. Dass ihre Verfasserinnen und Verfasser als Kenner der Materie sich dessen bewusst sind, zeigen einzelne Aufgabenstellungen, in denen die Lernenden Internet-Recherchen zu gesellschaftskritischen Themen unternehmen sollen. In Anlehnung an Margaret Thatchers berühmt-berüchtigtes „TINA-Prinzip“ soll das wohl heißen: „There is an alternative – please find it yourself“. Der Bildungspraktiker weiß, dass das Abschieben in die hinteren Teile von Aufgabenapparaten in den allermeisten Fällen bedeutet, dass die Fragestellungen im Unterricht übergangen werden – zumal es die Lehrtexte versäumen, die Thematik sachlich aufzuarbeiten. Wollen Herausgeber es vermeiden, sich zu sehr zu aktuellen politischen Diskussionen zu positionieren? Das Ergebnis ist eine Festschreibung des Status Quo. Auch das ist eine Positionierung. Wäre es nicht ureigene Aufgabe von Bildung, Alternativen vorzustellen und zur Hinterfragung der gesellschaftlichen Verhältnisse anzuregen?
In den Medien beschränken sich bildungspolitische Debatten zumeist auf die Verfügbarkeit von schulweitem WLAN, Tablet-Klassen und die nicht enden wollende Glaubensfrage, ob G8 oder G9 dem Kind und seinen Zukunftschancen besser gerecht werden. Kaum einmal wird über Bildungsinhalte diskutiert. Man vertraut darauf, dass Pädagoginnen, Fachdidaktiker und Fachwissenschaftlerinnen schon die richtigen Entscheidungen treffen. Die Schulbuchstudie zu volkwirtschaftlichen Lehrwerken stellt diese Hoffnung, zumindest was den Nachhaltigkeitsdiskurs betrifft, in Frage. Engagierte Lehrkräfte sind zumeist auf sich alleine gestellt, um passende Unterrichtsmaterialien zu entwickeln. Gleichzeitig pumpen unternehmensnahe Lobbygruppen massive finanzielle Mittel in Materialien, die kostenlos verfügbar über das Internet die Wirtschaftsbildung in ihrem Sinne lenken sollen.
Ohne ein verstärktes öffentliches Interesse an der Umsetzung von nachhaltiger Wirtschaftsbildung werden Bildungspläne und Lehrbücher vermutlich auch weiter der Aktualität hinterherhinken. Insofern bildet die Initiative der nordrhein-westfälischen Landesregierung jetzt auch eine Chance. Wird diese vergeben, werden Bildungsinhalte wieder für Jahre festliegen. Und unsere Studie zeigt: Was einmal im Lehrbuch angekommen ist, reproduziert sich dort meist auf Jahrzehnte weiter.
Erschienen in: fiftyfifty - Die Straße 03/2018, S. 14 - 15.