Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
Nachhaltige Entwicklungim volkswirtschaftlichen Unterricht

Weißer Ritter für die transformative Bildung gesucht

Oktober 2020

 

Mit ihrer neuen Klima-Machbarkeitsstudie steigen die FridaysForFuture in die Politikberatung ein. Die Rolle von BNE und transformativer Bildung wurde dabei leider übersehen.

 

Die Bundesregierung hat ihr Herz für die Klimadebatte entdeckt: Unlängst empfing Angela Merkel Greta Thunberg und Luisa Neubauer zum Gedankenaustausch, Minister Altmaier ließ sich für eine PR-Kampagne zur Wirtschaft der Zukunft mit Windkraftanlagen ablichten. Noch bis Ende des Monats dürfen vorausschauende Bürgerinnen und Bürger auf höchstpersönliche Einladung der Kanzlerin über die neue deutsche Nachhaltigkeitsstrategie mitdiskutieren. Während die „bösen“ Regierungskritiker*innen (Verschwörungstheoretiker*, Querdenker*) medial auf’s schärfste bekämpft werden, fährt die Bundesregierung – jedenfalls in ihrer Außendarstellung – Kuschelkurs mit den „guten“ Kritiker*innen ihrer Politik, der Klimabewegung. Das ändert jedoch nichts daran, dass die tatsächlichen Beschlüsse (Stichwort „Kohleverlängerungsgesetz“) stark dagegen abfallen. Dies hat die FridaysForFuture dazu veranlasst, mit finanzieller Unterstützung der GLS Bank eine Studie beim renommierten Wuppertal Institut in Auftrag zu geben, wie das Pariser 1,5°-Ziel bis 2035 doch noch einzuhalten wäre. Beim Lesen der Forderungen dürften Merkel & Co. bezüglich der Zuneigung ihrer neuen Freunde nochmal ins Grübeln kommen. Will Deutschland seine nationalen CO2-Reduktionsziele nicht reißen, sind massive politische Klimaschutzmaßnahmen notwendig: Energetische Sanierung von jährlich 4% des Gebäudebestandes, Beendigung des innerdeutschen Flugverkehrs, Verlagerung von 30 % des Lkw-Verkehrs auf die Bahn, Halbierung des Autoverkehrs, CO2-Preis von 180 Euro/Tonne als Ziel, Wiederbelebung des Onshore-Ausbaus der Windenergie… Und vor allem: Die Umsetzung der politischen Maßnahmen muss sofort beginnen!

 

Wie dies angesichts der derzeitigen Übermacht des Megathemas Corona-Pandemie gelingen soll, war nicht Thema der Studie. Was den Jugendlichen erfreulicherweise gelungen ist, ist noch einmal ein Ausrufezeichen hinter ihre Forderungen an die Politik zu setzen. Und statt lautstarker und massentauglicher Slogans treten die FFF nun erstmals mit wissenschaftlich fundierten technischen Details in Erscheinung.

Foto: Gerald Altmann/pixabay

Aus der Perspektive der Bildung für nachhaltige Entwicklung und der transformativen Bildung fällt jedoch – wieder einmal – ein Mangel auf, der alle Jahre wieder in an die Politik adressierten Studien zu beobachten ist: Die sozial-ökologische Transformation soll durch energie-, verkehrs-, industrie- und strukturpolitische Maßnahmen (über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg?) administrativ in die Wege geleitet werden. Die Frage einer flankierenden „transformativen Bildungswende“ bleibt dagegen außen vor. Im Grunde ist dieser blinde Fleck seit 30 Jahren einer der Hauptgründe, dass Nachhaltige Entwicklung, Kreislaufwirtschaft, Postwachstumsgesellschaft oder nun die Transformation es nicht schaffen, die breite Bevölkerung mitzunehmen. Egal welcher Umweltverband, welche NGO oder welcher wissenschaftliche Thinktank sich der Zukunftsfragen unserer Gesellschaft annimmt, die Zielrichtung ist fast immer Politikberatung und die Strategie die forcierte Medienpräsenz. Dass die formale Bildung von den neuen Themen irgendwie Wind bekommt und sich aus sich selber heraus ändert, wird anscheinend stillschweigend vorausgesetzt. Damit die Transformation wirklich ins Rollen kommt, sind aber entsprechende Kompetenzen notwendig, die gerade die junge Generation erst erlernen muss und die bildungspolitisch initiiert werden müssen. Eigentlich müsste die (schulische) Bildung der Transformation ja sogar vorangehen. Das Gegenteil ist meist der Fall. Aber entsprechende Forderungen macht sich keine Partei, keine zivilgesellschaftliche Lobbygruppe wirksam zu Eigen. Auch die FridaysForFuture bringen hier mit ihrer aktuellen Veröffentlichung keinen Fortschritt. Gerade von einer Organisation, die ihre Wurzeln direkt im System Schule hat, hätte man sich etwas mehr Bewusstsein für das transformative Potential von Bildung erhofft: Keine gesellschaftliche Gruppe vermag so als Trendsetter in Familie und sozialen Umfeldern zu wirken - das kann man an den Strategien der Werbeindustrie leicht ablesen.

 

Oder lag es am Auftragnehmer, dem Wuppertal Institut, das zwar immer wieder kleine und feine Bildungsprojekte durchführt, aber bei seinen großen Studien und Expertisen allzu oft die Bedeutung der begleitenden Transformationsbildung vernachlässigt? In zwei Halbsätzen wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, berufliche Kompetenzen für erneuerbare Energien im Handwerk zu fördern. Das ist fraglos richtig, ist aber zu wenig und geht in der Gesamtstudie unter. Denn alle Berufe sind betroffen - und die Frage, wie das Wirtschaftssystem nachhaltig umgestaltet werden kann, ist ein heißes Eisen, an das sich - so die Publizistin Ulrike Herrmann - auch das Wuppertal Institut nicht herantraut. Dabei schließen die Studienverfasser*innen: „Die Diskussion und auch das gesellschaftliche und politische Ringen um die richtigen Lösungen für diese Situation sind notwendig und müssen mit größtmöglicher Transparenz und Ehrlichkeit in der ganzen Breite der Gesellschaft geführt werden.“(1) Auch die Fridays kommentieren in ihrer Kurzfassung: „Angemessene Beiträge zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze sind aber vor allem ohne eine breite Zustimmung und Teilhabe der Gesellschaft nicht möglich.“(2) Wie diese „Breite der Diskussion zu erreichen ist, wird in der Studie selbst aber gerade nicht zum Gegenstand gemacht.

 

Die FridaysForFuture haben ein technisch höchst ambitioniertes Papier vorgelegt. Seine Vorschläge sind von der Politik ernst zu nehmen. Engagierte Lehrkräfte aus dem Spektrum der TeachersForFuture machen sich soeben an die didaktische Umsetzung. Doch wie groß wird ihr Wirkungskreis sein? Entsprechende Strategien, wie junge Menschen außerhalb politisierter und sozial-ökologischer Milieus zu erreichen wären, werden weiterhin gesucht.

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[1] Kobiela, Georg et al.: CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze. Diskussionsbeitrag des Wuppertal Instituts für Fridays for Future Deutschland mit finanzieller Unterstützung durch die GLS Bank (2. korrigierte Auflage). Wuppertal 2020. S. 104.

https://fridaysforfuture.de/wp-content/uploads/2020/10/FFF-Bericht_Ambition2035_Endbericht_final_20201011-v.3.pdf

[2] https://fridaysforfuture.de/studie/schluesselergebnisse/

 

 

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