Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
Nachhaltige Entwicklungim volkswirtschaftlichen Unterricht

Wer weiß es besser? - Nachhaltigkeit im Konfliktfeld zwischen Politik- und Wirtschaftsdidaktik - Eine neue Schulbuchstudie

Juli 2023

 

Ökonomische Allgemeinbildung hat in den vergangenen Jahren einen erheblichen Schub erhalten. Mehrere Bundesländer führten eigenständige Fächer Wirtschaft ein. In anderen Bundesländern ist Wirtschaft Teil eines Bündelfachs, das gesellschaftspolitische Perspektiven verbinden soll. Das Oldenburger Institut für Ökonomische Bildung hat eine Schulbuchstudie erstellt, die sich der Frage widmet, wie Klima- und Umweltthemen in den dort verwendeten Lehrwerken berücksichtigt werden. Die Ergebnisse sind bedenkenswert und bedenklich zugleich.

 

PoWi, SoWi, Sozi, PGW. Bundesweit existieren in Deutschland an allgemein bildenden Schulen 47 verschiedene Bündelfächer, in denen wirtschaftliche Inhalte vermittelt werden. Sie alle zählen zu den prominenten Ankerfächern auch für Nachhaltigkeits- und Umweltthemen. Umso erstaunlicher ist es, dass es bis zum letzten Herbst erst eine einzige Schulbuchstudie gab, die sich der Frage widmete, wie Fragen der Ökologie oder des Klimawandels in ökonomische Lehrwerke integriert sind. Unsere Düsseldorfer Studie „Didaktische Aspekte der Nachhaltigen Entwicklung in aktuellen VWL-Lehrbüchern der schulischen Bildung(1), die ich als Verfasser erstellte, betraf volkswirtschaftliche Lehrwerke aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Fach Volkswirtschaftslehre wird allerdings vorwiegend an beruflichen Schulen unterrichtet, wobei dort zumeist eine fachliche Trennung zu betriebswirtschaftlichen und wirtschaftsrechtlichen Schulfächern existiert. An allgemein bildenden Schulen stellt das Fach VWL jedoch eine Ausnahme dar, meist werden wirtschaftliche Inhalte in Bündelfächern mit Bildungsinhalten aus der Politikwissenschaft, Geschichte, Sozialkunde oder Recht unterrichtet. Dies stellt die entsprechende Fachdidaktik vor neue Herausforderungen.

Die neue Schulbuchstudie „Die Klima- und Umweltproblematik in Politik- und Wirtschaftsschulbüchern - eine Schulbuchanalyse für die Sekundarstufe II(2) schließt nun die Lücke für den allgemein bildenden Bereich. Verfasser/innen sind Dirk Loerwald, Katharina Betker und Stephan Friebel-Piechotta vom Institut für ökonomische Bildung (IÖB) an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg, Auftraggeber und Herausgeber die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung.(3) 

 

Umweltökonomische Perspektive auf den Wirtschaftsunterricht

 

Ein weiterer Unterschied zwischen unserer Düsseldorfer Studie und der neuen Oldenburger Untersuchung besteht in der Nachhaltigkeitsperspektive. In unserer Studie von 2016 wurden diverse Diskurse aus dem Nachhaltigkeitsspektrum herangezogen. Dezidiert ging es mir als Verfasser darum, Theorien und Begrifflichkeiten aus der Nachhaltigkeitswissenschaft für den ökonomischen Lehrgegenstand anschlussfähig zu machen: An welchen Stellen im Bildungsplan könnte man z. B. über Rebound-Effekte sprechen, wo kann der ökologische Blick auf Quellen und Senken der Ressourcenströme geöffnet werden? Die neue Studie des IÖB beruft sich insbesondere auf die als eigenständige universitäre Denkschule etablierte Umweltökonomik als Perspektive: also inwiefern z. B. die externen Effekte und öffentliche Güter als Mittel der Problembeschreibung in schulischen Wirtschaftslehrbüchern enthalten sind oder inwieweit Ökosteuern als umweltpolitische Antwort expliziert werden. Damit ist der Untersuchungsgegenstand von Seiten der Wirtschaftswissenschaft abgegrenzt, was für eine im akademischen Spektrum angesiedelte Studie von Vorteil ist.

 

Ergebnisse der Studie

 

Ein positiver Befund vorneweg: Nur drei Lehrbücher lassen die Klima- und Umweltproblematik in ihrer Sachdarstellung komplett außen vor. Doch muss die (Umwelt-)Ökonomin bei genauerer Betrachtung bei fast allen sonstigen Veröffentlichungen gravierende Mängel konstatieren.

 

Der Hauptkritikpunkt der Studie ist der folgende: Umweltthemen werden vor allem durch die politikwissenschaftliche Brille als Interessenskonflikte zwischen Institutionen betrachtet: die Interessen der Entwicklungsländer, Chinas, der Industrieländer, die sich auf Klimakonferenzen nur selten auf gemeinsame Ziele einigen können; der Interessenskonflikt zwischen Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftslobbys, Bürgerinitiativen, Umwelt-NGOs; die globalen Institutionen wie Weltbank, IWF, G7, die WTO. Es finden sich ausführlichste Überblicke über die Geschichte der internationalenl Klimadiplomatie, bisweilen werden selbst längst überholte Klimabeschlüsse oder Gesetze im Detail erklärt. Die Auseinandersetzung mit Umweltthemen wird somit vorwiegend nach den politikwissenschaftlichen Dimensionen Polity-Politics-Policy (Strukturen, Prozesse, Inhalte) aufgeschlüsselt. Umweltökonmische Instrumente und wie diese wirken, sind hingegen weit seltener Gegenstand der Betrachtung. Die Studie attestiert den Lehrwerken einen Mangel an ökonomischer Perspektive, weshalb zentrale ökonomische Lernziele mit ihrer Hilfe kaum erreichbar sind.

 

So nehmen nur die Hälfte der insgesamt 47 untersuchten Schulbücher Bezug auf ökonomische Anreizwirkungen überhaupt. Viele dabei belassen es bei einer Erwähnung und erläutern Ökosteuern, Emissionszertifikate oder Nudging nicht näher, geschweige denn, dass z. B. eine mikroökonomische Partialmarktanalyse unter Berücksichtigung der Umweltsteuern behandelt würde. Dabei wird der europäische Emissionshandel (samt der - teils veralteten - Kritik an der Umsetzung des Konzeptes) deutlich öfter expliziert als Umweltsteuern. Noch schlechter als in der Sachdarstellung sieht es bei den bereitgestellten Aufgaben aus. Nur 15-20% der umweltpolitischen Aufgaben haben eine dezidiert ökonomische Perspektive (etwa durch Analyse Marktversagen oder Umwelt als öffentliches Gut). Noch weniger Aufgaben beziehen sich auf ökonomische Anreizstrukturen: nur 7 Aufgaben insgesamt(!) in 47 Schulbüchern.

 

Ähnlich der Befund bei umweltpolitischen Subventionen. Nur knapp die Hälfte der untersuchten Lehrwerke thematisiert sie. Dabei werden aber lediglich Beispiele (insbesondere aus dem Bereich der Energiewende) vorgestellt, aber eine ökonomische Analyse findet nicht statt. (Der Befund war in vielen volkswirtschaftlichen Lehrbüchern unserer Düsseldorfer Studie ähnlich: Marktkonforme Instrumente wurden dort in den Ausführungen der untersuchten Lehrwerke im Rahmen Politischen Preisbildung deutlich seltener erläutert als marktkonträre Maßnahmen wie Mindest- oder Höchstpreise.)

Der Klimawandel in Schulbüchern: Welchen Stellenwert haben ökonomische Lösungsansätze? - YouTube-Online-Vortrag und Diskussion mit Studienautor Dr. Stephan Friebel-Piechotta am 11.12.2022.

 

 

Etwas öfter, aber auch nur in etwas mehr als der Hälfte der Lehrwerke, werden ordnungsrechtliche Instrumente thematisiert, ebenfalls anhand von Beispielen (Emissionsgrenzwerte für PKW, Plastikmüllverordnungen, Verbote von Verbrennungsmotoren). Seltener werden Vor- und Nachteile behandelt, dabei fallen ökonomische Kriterien wie Effizienz oftmals unter den Tisch.

 

Bemerkenswert ist die spärliche Behandlung der suasorischen Instrumente: Appelle an das freiwillige Umwelthandeln werden, wenn überhaupt, meist als wenig wirksam und intransparent bezeichnet. Das mag in der Sache so sein (meint auch Makroökonom Heiner Flassbeck), aber die dürftige Thematisierung ist schon etwas erstaunlich, wenn man die Umweltdebatte der vergangenen zwei Jahrzehnte in den Medien und in der Zivilgesellschaft verfolgt hat. Denn „nachhaltiges Handeln“ wurde dort ja weitläufig als moralischer Kompass des Individuums promotet und die entsprechenden gesellschaftlichen Milieus (postmateriell und neo-ökologisch) sind gemäß Sinus-Studien inzwischen bei rund 20% der Bevölkerung angelangt.(4) Auch wenn man sich einen Großteil der von ökologisch-progressiven außerschulischen Bildungsinitiativen produzierten Unterrichtsmaterialien anschaut, sind Angebote zum „freiwilligen Umwelthandeln“, z. B. Orientierungshilfen für Produktsiegel, ja besonders beliebt.

 

Ebenfalls erstaunlich ist, dass lediglich acht Lehrwerke auf soziale Dilemmata als Hintergrund der Notwendigkeit für staatliches/gemeinschaftliches Umwelthandeln vor allem bei Kollektivgütern, eingehen. Auch zu diesem Ansatz finden sich in außerschulischen Bildungsmaterialien zahlreiche Angebote, die bis hin zu Planspielen reichen. Dass die politik-ökonomische Schulbuchszene so wenig Fokus darauf legt, erschließt sich mir auf den ersten Blick nicht.

 

An dieser Stelle der Analyse verlassen die Autorin und die Autoren der Oldenburger Schulbuchstudie die im engeren Sinne umweltökonomische Sichtweise und wenden sich der Makroökonomik zu. 

Lediglich in 20 der untersuchten 47 Schulbücher ist Wachstumskritik „in relevantem Umfang“ vorhanden. Das ist wenig. Bedenkt man die mittlerweile 50-jährige Geschichte der Debatte um die Endlichkeit natürlicher Ressourcen, die Anfang der 1970er Jahre mit dem medialen Paukenschlag der Club of Rome-Studien begann, dann muss dieser Umstand enttäuschen. Umgekehrt gehen aber von den 20 positiven Befunden 12 Lehrwerke das Thema sehr progressiv an, indem sie die aktuellen gesellschaftlichen Degrowth-/Postwachstumspositionen in ihre Darstellung integrieren. Den Autoren der IÖB-Studie ist es ein Anlegen, dass möglichst viele Positionen zum Wirtschaftswachstum zu Wort kommen, darum heben sie 8 Schulbücher hervor, die auch die Position des „grünen“ bzw. „qualitativen Wachstums“ beinhalten. Da ich selber ja an einem Berufskolleg und nicht im allgemein bildenden Schulwesen arbeite, überraschte mich dieser Umstand, denn in meiner Beschäftigung mit volkswirtschaftlichen Lehrwerken aus den etablierten Schulbuchverlagen ist mir weder im Rahmen unserer Schulbuchstudie noch bei meinen Schulbuchrezensionen auf meiner Webseite bisher ein einziges Lehrbuch mit expliziter Berücksichtigung der Degrowth-Perspektive untergekommen. (Dem gegenüber stehen doch schon etliche, die dem quantitativen Wachstum zumindest die Idee des „qualitativen Wachstums“ gegenüberstellen.) Möglicherweise ist es dem Einfluss der Politikdidaktik zu verdanken, dass die zivilgesellschaftliche Debatte um das Postwachstum in einigen Schulbüchern eher aufgegrifen wird als in traditionellen volkswirtschaftlichen Lehrwerken, die sich dem Wachstumsnarrativ der Fachwissenschaften stärker verbunden fühlen.

 

Insgesamt kritisiert die IÖB-Studie, dass die unterschiedlichen Positionen zum Wirtschaftswachstum in den untersuchten Lehrbüchern lediglich (an Beispielen) dargestellt und zu wenig hinterfragt werden. Hier scheint ihre eigene Präferenz der Position des „grünen/qualitativen Wachstums“ durch, denn es wird eine zu wenig reflexive und kritische Auseinandersetzung mit den Degrowth-Argumenten beklagt (welche in der Tat die sozialen Auswirkungen von Schrumpfungs- bzw. Nullwachstumsprozessen oftmals ausblenden). Dasselbe gilt für die Kritik am Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandsindikator sowie die Behandlung alternativer Wohlstandsindices wie das bhutanische „Bruttonationalglück“ oder (randständige) Indikatoren wie den NEW oder die W3-Indikatoren. Leider wird in der Studie nicht deutlich, in wieviel Lehrwerken diese integriert sind. Da soziale und umweltorientierte Kritik am Bruttoinlandsprodukt bereits seit mehreren Jahrzehnten in volkswirtschaftlichen Lehrbüchern etabliert ist, hätte ich erwartet, dass auch Lehrbücher im PoWi/SoWi-Spektrum in größerer Zahl darauf eingehen.

 

Im Anschluss kehrt die Analyse noch einmal in das typisch umweltökonomische Themenfeld der externen Effekte zurück. Diese ist grundlegend für das Verständnis von Internalisierungsstrategien mittels umweltökonomischen Steuerungsinstrumenten wie Ökosteuern und Emissionszertifikaten. (Es erschließt sich mir daher nicht, warum die Autorin und die Autoren des IÖB diese Analyse erst nach jener der umweltökonomischen Politinstrumenten angehen.) In der Sache stellen sie fest, dass nur 15 Lehrwerke externe Effekte behandeln, 12 davon stellen den Bezug zu Umweltsteuern her. Dabei verbleibt die Analyse eher oberflächlich und arbeitet nicht die ökonomisch relevanten Fragen nach der Effizienz in der Ressourcenallokation heraus. Auch der Schritt in die gesellschaftliche Realität wird kaum gegangen. (Hier decken sich die Ergebnisse wieder mit unserer Düsseldorfer Schulbuchstudie, denn aus meiner Sicht scheuen Lehrbuchverfasser/innen die allzu deutliche Kritik am Regierungshandeln, die aber aus umweltökonomischer Sicht angezeigt wäre.)

 

Lediglich (oder immerhin?) sechs Lehrbücher betrachten das Instrument von Nudging, das nicht aus der Umweltökonomik, sondern aus der Verhaltensökonomik stammt. Dieser psychologisch fundierte Ansatz favorisiert sachbezogene kleine Anstöße zur positiven Verstärkung von Verhaltensänderungen von Verbraucher/innen (Danksagungen für umweltgerechtes Handeln, Messbarmachung eigener Beiträge zum Umweltschutz z.B. durch Smart Meter oder Handy-Apps). Die Autoren beklagen dies als defizitär gegenüber dem immer weitläufigeren Einsatz von „Nudges“ in der Gesellschaft. Dabei muss ich für die volkswirtschaftliche Literatur sagen, dass verhaltensökonomische Ansätze dort so gut wie gar keine Rolle spielen, insofern sind sechs Beispiele von Lehrbüchern schon mal ein Anfang. Allerdings herrscht noch komplette Fehlanzeige an Begriffen wie „Bias“ und „Debiasing“, wie sie die Verhaltensökonomik ebenfalls im Repertoire hat. – Auch der Bereich der umweltgerechten Unternehmensführung fällt gemäß IÖB-Studie durch das Raster der verbreiteten Lehrbücher: so würden ökologische Unternehmensziele, Social Entrepreneurship oder etwa die Aktivitäten nachhaltiger Start-Ups (zum Beispiel im Bereich der Kreislaufwirtschaft) – mit einer Ausnahme – überhaupt nie thematisiert.(5)

 

Ein aus meiner Sicht besonders wichtiger Kritikpunkt betrifft die in Schulbüchern angebotenen Grafiken und Quellentexte aus journalistischen Medien. Das IÖB konstatiert hier vielfach veraltete Materialien. Dies deckt sich mit unserer Düsseldorfer Studie, wobei noch das Problem hinzutritt, dass Grafiken kommerzieller Verlage und Presseartikel oftmals Sachdarstellungen unsauber oder fachlich falsch darstellen. Dieses Problem lässt sich durch die vorgeschlagenen digitalen Schulbücher nur teilweise beheben. Im Kern wird der schulische Unterricht immer ein Stück weit hinter der Realität hinterherhinken, denn inhaltlich immer auf absoluter Höhe der (um/welt)politischen Zusammenhänge zu bleiben, ist von Lehrenden beim besten Willen nicht zu erwarten. Von Schulbuchverlagen wäre hier allerdings etwas mehr Problembewusstheit und Engagement zu erwarten. Hier haben Nischenanbieter wie der Wochenschau Verlag mit seinen aktuellen Themenheften gegenüber traditionellen Schulbüchern einen Vorteil. Dem Resümee des entsprechenden Abschnitts aus der IÖB-Studie ist grundsätzlich aber nichts hinzuzufügen, wenn sie feststellt, „dass Schulbücher stärker auf grundlegende [meine Hervorhebung] Zusammenhänge und entsprechende Darstellungen fokussiert werden sollten.“ Also ein Hoch auf den fachlich stimmigen Lehrtext!

 

Kritische Würdigung der Studie

 

Da ich selber nicht an allgemein bildenden Schulen unterrichte, sind auch für mich einige Ergebnisse sehr überraschend. Tatsächlich hätte ich mehr Einfluss der volkswirtschaftlichen Didaktik auf die allgemein bildenden Lehrwerke erwartet. Aus dieser Perspektive möchte ich dennoch einige Punkte zu bedenken geben.

 

Was in der Analyse des IÖB überhaupt nicht abgefragt wurde, sind die sonstigen informellen Umweltinstrumente wie Selbstverpflichtungen, Kooperationsvereinbarungen im Bereich der Unternehmen, wie sie im neoliberalen Zeit- und Politikgeist der ersten zwei Jahrzehnte dieses Jahrhunderts en vogue waren. Vermutlich sind sich Ökonomen und Politikwissenschafter*innen in ihren jeweiligen Fachperspektiven einig, dass Freiwilligkeit keine ausreichende Basis für die Erreichung ambitionierter umweltpolitischer Ziele darstellt. Zwar hat sich die Regierungspolitik in Deutschland und in der EU in den letzten Jahren deutlich in Richtung mehr Verbindlichkeit gesetzlicher Vorgaben bewegt, aber der Vollständigkeit halber wäre eine – kritische! - Berücksichtigung eines lange Zeit bevorzugten Politikansatzes wünschenswert.

 

Die Herangehensweise an eine Studie offenbart immer auch persönliche Präferenzen der Verfasser/innen. Das Studiendesign und der Umfang des Analysevolumens der Studie zeigen, dass die Autorin und Autoren selbst wohl der umweltökonomischen Denkschule zugeneigt sind. Kritik am ökonomischen Nutzendenken, welches auch in der Umweltökonomik als selbstverständlich angenommen wird, ist damit für sie außen vor. Man muss so viel Selbstkritik auch nicht erwarten. Andererseits sind die Autorin und die Autoren durchaus kritisch, wenn es um ökologische Betrachtungsweisen der Ökonomie geht, die mit ihren eigenen Überzeugungen nicht konform sind. So machen sie aus ihrer Skepsis gegenüber dem Degrowth-/Postwachstumsansatz keinen Hehl. Für mich persönlich etwas erstaunlich ist, dass sie auch die – gerade in volkswirtschaftlichen Lehrbüchern etablierte – Kritik gegenüber quantitativen und qualitativen Mängeln des Bruttoinlandsprodukts als lediglich deskriptiv kritisieren. Vielmehr fordern sie eine Hinterfragung der BIP-Kritik selbst. Dem kann in der Sache wenig entgegnet werden, denn auch BIP-Kritik aus ökonometrisch-statistischer Perspektive oder alle als Alternativen entwickelten Wohlstandsindikatoren können im Detail unterschiedlich bewertet werden und haben keinen Anspruch, allein selig zu machen. Es steht zu vermuten, dass die Verfasser/innen eine umweltökonomische Welt bevorzugen würden, in denen die Internalisierung der Umweltkonsequenzen in die Preise perfekt umgesetzt wäre – dann würde sich die Diskussion um ein sozial- und ökologisch schädliches Bruttoinlandsprodukt und auch die Kritik daran ja erübrigen.

Hier stellt sich allerdings die Frage, wie puristisch ein schulisches Lehrbuch die wissenschaftliche Debatte abbilden kann oder sollte. Es könnte junge Menschen auch überfordern, zu jeder Kritik auch wiederum die Kritik der Kritik zu kennen, auch wenn dies unter wissenschaftlichen Bedingungen wünschenswert wäre und die Befähigung zum kritischen Denken gerade in der Oberstufe ein wissenschaftspropädeutisches Bildungsziel ist. Meine Erfahrung mit Jugendlichen ist allerdings, dass sie – auch im Wirtschaftsunterricht – gerne Orientierung auf dem Wege „absoluter Wahrheiten“ erhalten würden, welche ihnen die naturgesetzlich verbrämte Neoklassik ja auch nur zu gerne anbietet. Es stellt für junge Menschen immer auch eine gewisse Provokation dar, erst curricular kanonisierte ökonomische Theorien verstehen zu sollen, um anschießend zu erkennen, dass sie nur unter gewissen Bedingungen gültig oder in der Praxis irrelevant sind. Wenn dann eben diese Kritik ihrerseits wieder relativiert wird, rutscht der Erkenntnisgegenstand ein Stück weit in die Beliebigkeit ab. Es bedarf also einer großen Menge Fingerspitzengefühl der Lehrpersonen, wie viel Hinterfragung und Theoriekritik eine Lernergruppe verträgt.

Wenn allein die Internalisierungsstrategie zielführend wäre, wie ich den Verfasser/innen oben als Grundhaltung unterstellte, dann wäre auch mehr Umwelthandeln überflüssig, das von Unternehmen und Verbraucher/innen ausginge. Tatsächlich beklagt die IÖB-Studie hier den Mangel an Imagination der verbreiteten Lehrbücher. Offenbar ist der Autorin und den Autoren der Studie doch ein vieldimensionales Voranbringen von Nachhaltigkeit ein Anliegen – ihre (in meinen Augen übertriebene) Theoriekritik an Wachstumskritik oder alternativen Wohlstandsindikatoren passt dann aber nicht so recht ins Bild.

 

Was in der Studie (wiewohl auch in sämtlichen Schulbüchern) zu fehlen scheint, sind einige der von mir seit langem auf dieser Webseite vorgebrachten Argumente bzgl. des Wachstumsdiskurs. Wachstumskritik driftet leicht in Gesinnungsethik ab, wenn es nur darum geht, „für“ oder „gegen Wachstum“ zu sein oder ein bestimmtes Wachstumskonzept als „richtig“ zu erachten (so wie es in der Oldenburger Studie in Bezug auf Degrowth, grünes Wachstum oder traditionelles BIP-Wachstum offenbar angestrebt wird). Wachstumskritik müsste fachsystematisch im Rahmen der Wirtschaftspolitik behandelt werden. Denn wenn jene aus welchen Gründen auch immer ernst genommen wird, so bedeutet das, dass der angebots- und nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik, welche beide wachstumsorientiert sind, wachstumsunabhängige Konzepte gegenübergestellt werden sollten.

 

Des Weiteren fehlt Kritik am Wachstum aus mathematischer sowie medialer Sicht. Wenn es in der Realität kein exponentielles Wirtschaftswachstum gibt, müssen sich in jeder wachsenden Volkswirtschaft die ökonomischen Wachstumsraten asymptotisch dem Nullpunkt annähern (sofern sich kein Bevölkerungswachstum hinzugesellt). Diese einfache mathematische Wahrheit wird in der Wirtschaftswissenschaft und in der Wirtschaftsdidaktik praktisch nirgends zur Kenntnis genommen. Und schließlich sollte auch die Wirtschaftsdidaktik realisieren, dass das Narrativ des Wirtschaftswachstums durch gesellschaftliche und auch linguistische Prozesse bis zur Unkenntlichkeit verfälscht und für politische Ziele missbraucht wird. Darum geht es bei Wachstumskritik um mehr als eine theoretische Analyse, sondern gerade in einem sozioökonomischen Bündelfach auch um das Verständnis gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit über Begriffe, die oftmals fern der wissenschaftlichen Fachlichkeit geführt werden.

 

Bei aller hier formulierten Kritik im Detail ist diese Studie insgesamt natürlich als hervorragender Beitrag für mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaftsbildung zu werten. Ihre Ergebnisse sollten von Schulbuchverlagen, Lehrbuchverfasser/innen, aber auch Verantwortlichen in Lehramts-Aus- und Fortbildung unbedingt zur Kenntnis genommen werden - und auch von praktiziernden Lehrkräften. Die Autorin und die Autoren stellen fest, dass gerade im allgemein bildenden Bereich oftmals Lehrpersonen das Fach Wirtschaft unterrichten, die keine akademische Fakultas dafür haben. Die Crux ist, dass gerade dieser Personenkreis sich besonders stark an den Vorgaben im schulischen Lehrbuch orientiert. Wenn aber auch Didaktiker/innen mit ausschließlich derselben politikwissenschaftlichen Brille diese Lehrbücher geschrieben haben, darf man sich nicht wundern, wenn ökonomische Bildungsziele (gerade auch mit Hinblick auf die Nachhaltigkeit) in der Praxis kaum umgesetzt werden.

Gerade wer noch mit der umwelt- und verhaltensökonomischen Perspektive auf Nachhaltigkeit und Klimawandel fremdelt, dem oder der seien insbesondere die Seiten 6-9 der Studie ans Herz gelegt: Hier werden die wichtigsten Begrifflichkeiten, Theorien und Zusammenhänge gleichsam einem Crash-Kurs kurz und bündig zusammengefasst. Die Darstellung könnte den fehlenden Uni-Kurs ersetzen und eröffnet den kompletten Analyserahmen der vorliegenden Studie.

 

(1) https://www.duesseldorf.de/nachhaltigkeit/bne/projektbeispiele/schulbuchstudie/

(2) https://shop.freiheit.org/#!/Publikation/1238

(3) Persönlich erstaunlich finde ich, dass sich insbesondere wirtschaftsliberale Gesellschaftsgruppen für die Rolle von Schulbüchern in der Wirtschaftsbildung interessieren. Die vorliegende Studie ist schon die zweite im Auftrag der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung nach der Studie von Justus Lenz: "Die Darstellung der Sozialen Marktwirtschaft und Unternehmertum in Schulbüchern in Schulbüchern in Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz" (2010). https://www.hwwi.org/fileadmin/hwwi/Zweigniederlassung_Thueringen/Produkte/Studien/Studie_Schulbuecher_Marktwirtschaft.pdf

und jener der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft: "Unternehmer und Staat in europäischen Schulbüchern" (2007). https://www.insm.de/fileadmin/insm-dms/text/publikationen/studien/endbericht-schulbuecher-vergleich.pdf

Auch in Österreich war es die ehemalige wirtschaftslibertäre Partei "Team Stronach", die die Frage nach ökonomischer Bildung im Schulbuch stellte (2016). https://www.amazon.de/Stiefkind-Wirtschaftskunde-Schulb%C3%BCchern-tendenzi%C3%B6s-Studienreihe/dp/3950408177

Entsprechendes Interesse grüner oder linker Parteien an den Inhalten der ökonomischen Bildung ist leider bis heute nicht gegeben, zumindest wenn man die Anzahl der von ihnen herausgegebenen Studien betrachtet.

(4) https://www.sinus-institut.de/sinus-milieus/sinus-milieus-deutschland

(5) Insgesamt scheinen schulische Lehrbücher der ökonomischen Bildung die Rolle von Unternehmen unterzubelichten. Denn neben der kärglichen Beschreibung unternehmerischer Potentiale für die nachhaltige Transformation werden - wie weiter oben beschrieben - bei der Nennung der umweltpolitischen Interessensgruppen und internationalen Institutionen machtvolle Akteure der Konzern- und Unternehmenssphäre wie z. B. das Weltwirtschaftsforum oder Finanzmarktakteure wie Rating-Agenturen, Fondsgesellschaften und Stiftungen komplett ausgeblendet.

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