Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
Nachhaltige Entwicklungim volkswirtschaftlichen Unterricht

Irgendwas mit Umwelt - Nachhaltigkeit im Schulunterricht

Der Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ geht zurück auf den sogenannten Brundtland-Bericht im Jahr 1987. Die von der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin geleitete UN-Kommission definierte Nachhaltigkeit als …

 

Sie wissen, wie es weitergeht. Kaum eine einschlägige Publikation zur Nachhaltigkeit, die nicht ihren Ausgangspunkt im der vielzitierten Erklärung nimmt. „Eingeweihte“ können es vermutlich nicht mehr hören. Doch worauf ist zurückzuführen, dass auch mehr als 25 Jahre nach der vermeintlich bahnbrechenden Veröffentlichung des UN-Berichts heutige Autoren immer wieder das Gefühl haben, sie müssten den Begriff definitorisch erst mal greifbar machen? Unterstellen sie ihrem Publikum etwa eine Wissenslücke, was die Zukunft unserer Gesellschaft angeht?

 

Auf LeserInnen von ÖkologiePolitik mag das sicher nicht zutreffen. Aber vielleicht ist uns allen mehr oder weniger bewusst, dass Nachhaltigkeit längst kein Allgemeingut ist. Die Studie des Umweltbundesamtes zum Umweltbewusstsein in Deutschland 2010 ergab einen Bekanntheitsgrad des Begriffs „Nachhaltigkeit“ von 42% aller Befragten. Gegenüber den 13% im Jahr 2000 war das eine bemerkenswerte Steigerung, doch erkundete die Studie nicht, was der Normalbürger unter Nachhaltigkeit überhaupt versteht. Vielsagend die Fragestellung der Studie, wurde Nachhaltige Entwicklung darin doch als „Leitbild für den Umweltschutz“ (meine Hervorhebung) bezeichnet. Um den Kenntnisstand von Otto Normaldeutsch ist es vermutlich weder grünlich noch rosig bestellt: Nachhaltigkeit? Ist das nicht irgendwas mit Umwelt?

 

Etwas ist faul im Staate Dänemark, wenn der Begriff, um den sich eine inzwischen etablierte Debatte dreht, weiterhin nur von „Experten“ erklärt werden kann, geschweige denn die spezifischen Strategien und Konzepte lebbar macht. Obwohl in allen Medien präsent, haben es die Vertreter der sogenannten „Transformation zur Nachhaltigkeit“ bisher nicht geschafft, ihre zentrale Idee in der Gesellschaft zu verankern. Schuld der Medien? Oder hat sich der Nachhaltigkeitsdiskurs zu lange allein als wissenschaftliches Forschungsfeld und als politisches Korrektiv verstanden, als genüge es, die wichtigsten gesellschaftlichen Entscheidungsträger zu überzeugen? Der Schiffbruch, den zentrale Zukunftsprojekte wie die ökologische Steuerreform in der Öffentlichkeit erlitten, offenbarte, dass eine Politik über die Köpfe der Menschen hinweg keinen Erfolg haben kann.

 

Hier kommt die Bildung ins Spiel. Während der Medienkonsum und die dabei erworbenen Kenntnisse zur nachhaltigen Entwicklung in steigendem Maß von der eigenen Medienkompetenz und individuellen Wertentscheidungen abhängen und nur begrenzt beeinflussbar sind, stellt das schulische Bildungssystem einen der wenigen Bereiche dar, in dem Menschen aller Schichten und Milieus gleichermaßen erreicht werden. Darin liegt die demokratische, gesellschaftsverbindende und -verändernde Kraft der Schulbildung. Kein öffentlich-rechtliches oder kommerzielles Medium hat einen Verbreitungsgrad, der mit der schulischen Bildung vergleichbar ist. Doch wieso entlassen wir immer noch junge Menschen in die Gesellschaft, die nur über unzureichende Kompetenzen verfügen, existentielle Zukunftsaufgaben mitzugestalten?

 

Wieder war es die UN, die strategischen Handlungsbedarf in der Bildung sah: 2005 rief sie die „UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung“ aus. Seit 10 Jahren wurden weltweit verstärkte Anstrengungen unternommen, eine Bildung für nachhaltige Entwicklung (BnE) in die Gesellschaft zu tragen. In Deutschland wurden seither Akteure aus schulischer Bildung, aus Zivilgesellschaft, privaten Weiterbildungsträgern, Forschungseinrichtungen und Verbänden durch die UNESCO-Dekaden-Kommission begleitet. Die Bundesländer entwarfen eigene BnE-Strategien und in vielen Kommunen entstanden „lokale Bildungslandschaften“ mit einem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit.

 

Aber ja: BnE ist mittlerweile als wichtiger Forschungs- und Bildungsbereich etabliert. Rund 2000 Projekte von Bildungsträgern, Schulen und Kommunen wurden als Dekadenprojekte ausgezeichnet. Sie haben Pilotcharakter und bringen Themen, die von der traditionellen Lehre vernachlässigt werden, in den Fokus von Lehrenden und Lernenden. In zahlreichen Netzwerken tauschen BnE-Aktive Erfahrungen aus, Unterrichtsmaterialien stehen in unüberschaubarer Zahl im Internet zum Download bereit. Schöne neue nachhaltige Welt?

 

Bei allen Fortschritten herrscht unter vielen Akteuren der BnE der Eindruck, einen Kampf gegen Windmühlen zu führen. Viele der prämierten Projekte lassen trotz beträchtlichen Ressourceneinsatzes langfristige Effekte vermissen, nach Ablauf des Projektes verschwinden tolle Ideen in den Archiven. Projektgelder werden eben zumeist für die Pilotphase budgetiert; für die Verstetigung darüber hinaus bleibt die Hoffnung auf den Goodwill der Beteiligten. Treibende Kräfte sowohl an Schulen wie in Behörden und außerschulischen Einrichtungen lassen sich meist an einer Hand abzählen, von einer Breitenwirkung, die das alltägliche Schulleben im Sinne der Nachhaltigkeit weiterentwickeln würde, ist wenig zu spüren. Spätestens wenn Lernende in Richtung beruflicher Qualifizierung abbiegen, wird deutlich: BnE genießt immer noch das Image eines Nischenbereichs, der sprichwörtlichen Blumenwiese, die in jungen Jahren blühen darf, die jedoch für die Marktverwertung unerheblich ist.

 

Das Problem wurde von vielen Akteuren erkannt. Das aktuelle Schlagwort lautet: „Vom Projekt zur Struktur.“ Anstatt isolierter Projekttage vor den Sommerferien sollte immer mehr gewährleistet sein, dass Nachhaltigkeit nachhaltig zum „Querschnittsthema“ für alle Fächer wird.

 

Zuständig für die Schulbildung sind die Länder, und um einen Überblick über deren Aktivitäten zu gewinnen, fragte die nationale Konferenz der Kultusminister (KMK) Ende 2012 in einem Bericht die Strategien der Bundesländer ab. Ergebnis: 16 Länder, 16 unterschiedliche Strategien, 16 unterschiedliche Geschwindigkeiten. In einigen neuen Bundesländern scheint Nachhaltigkeit noch ein Fremdwort zu sein. Doch auch die alten Länder haben wenig Grund, den „Besser-Wessi“ zu geben. Mal werden ehemalige Umweltschutzzentren in „BnE-Kompetenzzentren“ umfirmiert, aber ist hier gewährleistet, dass Nachhaltigkeit mehr als Umwelterziehung erfordert? Mal werden Multiplikatoren ausgebildet und BnE-Leitungsstellen geschaffen, von externen Anbietern großartige Lehrmaterialien entwickelt. Aber solange schulische Lehrpläne Nachhaltigkeit weiter als Randthema behandeln, können noch so viele Lehrerfortbildungen angeboten werden, es herrscht schlicht keine Nachfrage danach. Insofern ist Berlin einen Schritt weiter, denn hier gilt für Gesamtschulen und Gymnasien seit 2012 ein Bildungsplan „Lernen in globalen Zusammenhängen im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung“, der über mehrere Jahre BnE-Inhalte und Kompetenzen aufeinander abstimmt. Der Haken: Der Lehrplan ist unverbindlich, kann freiwillig umgesetzt werden. Wie viele Schulen tatsächlich diesen Weg gehen, wurde bisher nicht öffentlich. Aber das ist typisch: Nachhaltigkeit und fairer Handel gelten fast immer als freiwilliges Zusatzelement im Schulportfolio. So lobenswert entsprechende Aktivitäten sind, die junge Generation in ihrer ganzen Breite wird so jedenfalls nicht erreicht. Ansonsten wird in dem KMK-Bericht deutlich, dass den Verantwortlichen oftmals das ganze Konzept der Nachhaltigkeit und der darauf zielenden Bildung noch etwas schleierhaft ist: Unter BnE wird so ziemlich alles subsumiert, was im weitesten Sinne nach „Umwelt“ und irgendwie weltverbesserisch klingt, von Projekten zum Wassersparen bis hin zu Qi-Gong-Kursen.

Innovation kostet. Mehrere Ländervertreter ließen allerdings keine Hoffnung auf eine Ausweitung der Mittel zur weiteren Verstetigung des Themas. Wegen der angespannten Haushaltslage müsse man ja wie in anderen Ressorts auch hier sparen. Was ist aber davon zu halten, wenn die eigenen Interessensvertreter gar keine Ansprüche anmelden? BnE hat keine Lobby. Auch nicht in den Medien. Der KMK-Bericht fand dort nicht statt. Nachhaltigkeitsbildung hat lediglich in hochspezialisierten Fachpublikationen Platz. Die Massenmedien umgehen es konsequent.[1]

 

Wie geht es weiter? Die UN-Dekade entlässt ihre Kinder, die Bildungsdekade für Nachhaltigkeit ist Ende 2014 vorbei, eine Wiederauflage gilt als ausgeschlossen. Nur, wie sollen in Zukunft die oft extrem heterogenen Aktivitäten konzertiert werden? Wie wird Innovation angestoßen, wenn keine Institution diese im Auge behält? Eines ist klar, ihre momentane Verankerung im Bildungssystem wird nicht ausreichen, um BnE voranzutreiben. Vielleicht lohnt hier ein Blick über die Grenzen hinweg in die Schweiz: Dort bündelt das Dienstleistungs- und Kompetenzzentrum „éducation21“ diese Aufgabe für Lehrpersonen, Schulen, Hochschulen, Institutionen der Lehrerbildung sowie die Bildungsbehörden. Für Bundesstellen und NGOs dient éducation21 als Schnittstelle zum Bildungswesen. Rund 40 MitarbeiterInnen arbeiten auf allen Ebenen des Bildungssystems: Produktion, Prüfung und Vertrieb von Unterrichtsmedien, Finanzhilfen für Schul- und Klassenprojekte, Beiträge zur Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen, Beratung bei der Lehrplanerstellung, ein Web-Portal sowie eine Praxis-Zeitschrift sind einige der Angebote von éducation21. éducation21 ist stiftungsfinanziert und erlaubt so eine langfristige, politisch unabhängige und koordinierte Ausrichtung aller Aktivitäten.

 

In Deutschland mehren sich hingegen Anzeichen für einen Ausverkauf der BnE: Im Zuge der PISA-Diskussion erschillt immer öfter der wohlfeile Ruf nach einer „Entrümpelung“ der Lehrpläne – und nach ihrer Ausrichtung an Marktinteressen. Gesagt, getan, der neue Bildungsplan zur Erlangung der Fachhochschulreife an kaufmännischen Schulen in Nordrhein-Westfalen hat mal eben das Thema Umweltpolitik komplett gestrichen. Sämtliche Unterrichtsfächer geraten in Rechtfertigungszwang, ob ihre Inhalte für das „Leitfach Betriebswirtschaft“ verwertbar sind. Wie Nachhaltigkeit aus den wolkigen Vorworten in Lehrplänen in die Bildungspraxis übersetzt und dabei konsequent die Unternehmerperspektive eingehalten werden soll, bleibt ein Rätsel. Und wo BnE im Bildungssystem auftaucht, gewinnt sie oft den Charakter einer „Verbraucherbildung“: Wie sorge ich für das Alter vor, wofür stehen Öko-Labels? Dass die eingangs zitierte Brundtland-Publikation explizit Veränderungen in technologischer Hinsicht, Investitionspraxis und institutioneller Wandel gefordert hatte, droht in Vergessenheit zu geraten, wenn es nur noch in Konsumentenhand liegt, durch ethischen Konsum neuen „ökofairen“ Marktnischen zum Wachstum zu verhelfen.

 

Bildung für nachhaltige Entwicklung steht am Scheideweg. Sie hat ein Potential für lebensnahe Bildungsprozesse, indem sie den Unterricht direkt an den existentiellen Fragen unserer Gesellschaft orientiert. Oder wir beruhigen lediglich unser Gewissen, indem wir ab und zu dafür sorgen, dass die nachwachsende Generation auch mal „was mit Umwelt“ macht.

Irgendwas mit Umwelt - Nachhaltigkeit im Schulunterricht

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Artikel aus ÖkologiePolitik 163 (2014)

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(1) Eine detailliertere Auswertung der KMK-Befragung der Bundesländer siehe Artikel: „Nach bilde sich die Sintflut?

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