Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
Nachhaltige Entwicklungim volkswirtschaftlichen Unterricht

Klima auf dem Curriculum!?

November 2019

 

Es ist kein Jahr her, da saß eine kleine, schmächtige Schwedin vor dem Stockholmer Parlament und warb mutterseelenallein und Woche für Woche für eine wirksame Klimaschutzpolitik, die in politischen Sonntagsreden auf internationalen Konferenzen seit Jahrzehnten formuliert, aber in Parlamentsbeschlüssen kaum einmal ernsthaft umgesetzt wurde.

 

Zwölf Monate später sinniert der italienische Bildungsminister, Lorenzo Fioramonti, über die Stärkung der Klimabildung im italienischen Schulsystem – und entfacht ein internationales Medienecho von den Vereinigten Staaten bis Australien. Und nach über 20 Jahren fachwissenschaftlicher Diskussion über ein pädagogisches Nischenthema, die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), berichten in Deutschland erstmals Leitmedien wie der SPIEGEL oder der STERN über den eigentlich unfassbaren Umstand, dass das Bildungswesen (ob in Italien oder hierzulande) auch nach 30 Jahren Diskussion über Nachhaltigkeit noch immer nicht konsequent auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts reagiert hat.

 

Was für ein Wandel! Würden Extinction Rebellion, Fridays For Future und zahllose gesellschaftliche Initiativen nicht darauf hinweisen, dass es klimapolitisch vermutlich 30 Sekunden vor 12 ist, müssten wir jetzt eigentlich die Banner einrollen und skandieren: Party!!

 

Kurioserweise gab es auf die Pressemeldungen, die sogar von zahlreichen Lokalzeitungen aufgegriffen wurde, gerade aus Fachkreisen nicht nur positives Echo. Langjährige Engagierte für BNE und Globales Lernen betonten, dass – anstatt eines neuen Schulfaches – die fächerübergreifende Integration des „Querschnittsthemas Nachhaltigkeit“ zielführender sei. Vertreter*innen des ums Überleben kämpfenden Schulfachs Geographie forderten eine Aufwertung ihres Deputats, das den Erwartungen an ein Schulfach „Klimawandel“ bereits heute gerecht werden könnte.

 

Die Eigenheiten des Zusammenspiels von Medienberichterstattung und ihrem Impact in den sozialen Netzwerken bringen es mit sich, dass auch die qualitativ hochwertigsten politischen Statements zu Schlagzeilen und Schlagworten verkürzt werden, die ihrerseits an der Grenze zu „Fake News“ stehen. Im Falle des italienischen Bildungsministers führte das dazu, dass seine Forderungen zu einem „Schulfach Klimawandel“ gebündelt wurden – obwohl seine Worte im Original-Interview mit der New York Times nichts dergleichen nahelegten, sondern explizit die Verantwortung aller Unterrichtsfächer betonten. Signor Fioramonti, neben seiner politischen Karriere Universitätsprofessor für Volkswirtschaft, zeigte sich also durchaus als Kenner des wissenschaftlichen State-of-the-Art. Ein Unterrichtsfach Geographie ist zwar mit Sicherheit grundlegend für ein Verständnis von Nachhaltigkeit (und sollte tatsächlich erhalten und ausgebaut werden), vermag aber allein auch nicht die Kenntnisse zu vermitteln, die zur sozial-ökologischen Transformation von Nöten sind. Dazu ist eine Vielzahl von allgemein bildenden und berufsbildenden Kompetenzen notwendig. Was bringt der schönste Klimaunterricht, wenn im Wirtschaftsunterricht doch wieder die Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums gepredigt wird?

 

Aber wäre ein eigenständiges Fach „Klimaschutz/Nachhaltigkeit“ wirklich so unnütz? Wenn es wirklich kurz vor 12 ist, haben wir nicht noch einmal 20 oder 30 Jahre Zeit, alle Fachdidaktiker*innen der Welt davon zu überzeugen, dass ihr Lehrgegenstand einer Generalüberholung bedarf, wie es der Orientierungsrahmen Globale Entwicklung eigentlich seit Jahren demonstriert. Wie der digitale Wandel vor Jahrzehnten durch die Einführung des Unterrichtsfachs Informatik befördert wurde (das doch seinerseits durchaus als fächerübergreifend hätte betrachtet werden können), so vermöchte womöglich auch eine Erweiterung der Stundentafel in Sachen Klimawandel eine Innovation auszulösen. Oft sind es erst neue Stellen und Verantwortlichkeiten (und Verdienstmöglichkeiten!), die Dynamik in einen Bildungsapparat bringen und bestehende Beharrungstendenzen des Systems überwinden. Es mag nicht der Weisheit letzter Schluss sein, aber wenn Sie, lieber Leser/liebe Leserin, irgendwo auf der Welt zufällig das Amt eines Bildungsministers/einer Bildungsministerin bekleiden, lassen Sie sich nicht bremsen! Wir sind sicher, dass Greta nicht vor Ihrem Ministerium protestieren wird.

 

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