Oktober 2025
Punktsieg für die Wachstumsökonomik! Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften ehrte am 13.
Oktober die drei Wachstumsforscher Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt mit dem sogenannten Wirtschaftsnobelpreis(1). Der K.O. für Degrowth und nachhaltige
Wirtschaftswissenschaft? Das Presseecho zeigt jedenfalls einmal mehr, dass in den Medien wenig kritisches Bewusstsein für die Themen Wachstum und Nachhaltigkeit herrscht.
Wirtschaftspatient Deutschland kann aufatmen. Nun liegt endlich
wieder das lang ersehnte Patentrezept vor, mit dem das Land von Wirtschaftswunder und Exportweltmeisterschaft wieder in die (Wachstums-)Spur finden kann... Ganz oben auf der Verschreibungsliste:
Technische Innovation oder – im Ökonom*innenjargon – „schöpferische Zerstörung“(2). Die drei ausgezeichneten Forscher entwickelten Theorien, die zeigten, dass
Wirtschaftswachstum insbesondere auf technologischen Fortschritt sowie ein innovationsoffenes Umfeld angewiesen sei. Damit schließen sie begrifflich und konzeptionell an die Theorien Joseph
Schumpeters oder auch Nikolai Kondratieffs an, die die Rolle von Neuentwicklungen, die veraltete Technologien ablösen, betonten.
Als einfacher Wirtschaftspädagoge möchte ich die Angemessenheit der Entscheidung der schwedischen Jury nicht in
Frage stellen. Und natürlich bin ich sehr für intelligente und zukunftsfähige Innovation, wie z. B. die Kreislaufwirtschaft. Da ich die Wachstumsthematik aber seit zweieinhalb Jahrzehnten
wissenschaftlich und in meinem beruflichen Alltag didaktisch verfolge, stellen sich mir eine Reihe von Fragen, die sich angesichts der medialen Berichterstattung aufdrängen.
- Schulische Lehrbücher stellen – wenn auch zumeist sehr
inkonsistent – die Frage, ob Wirtschaftswachstum (gemessen am BIP) überhaupt als geeigneter Wohlstandsindikator betrachtet werden kann. Zahlreiche Presseartikel setzen Wachstum und Wohlstand aber nun
wieder unkritisch gleich.(3) Die für die gesellschaftliche Wahrnehmung von Wohlstand entscheidende Frage der Verteilung von Einkommen und Vermögen wird von der
Berichterstattung übersehen.
- Mit dem Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ wird ein seit fast 100 Jahren bekanntes Konzept von Joseph
Schumpeter erneut in das öffentliche Bewusstsein gehoben. Obwohl es zahlreiche Belege für den Zusammenhang von technologischer Innovation und Wohlstand gibt, werden dabei die linguistischen Schattenseiten des Begriffs übergangen. „Zerstörung“ erhält hier ein einseitig positives Gesicht und wird gleichzeitig als
sozialdarwinistisches Überlebensprinzip interpretiert. Gesellschaftlicher Widerstand gegen neue Technologien kann damit automatisch als „fortschritts- und wohlstandsfeindlich“ ausgelegt werden,
obwohl bekanntlich nicht jeder Fortschritt auch sozial- und umweltverträglich ist. Die Medien promoten hier unhinterfragt ein Konzept, das mit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise nicht immer gut
vereinbar ist. Es steht zu befürchten, die Nobelpreisvergabe auch im gefühlten Wirtschaftskrisenland Deutschland zur Rechtfertigung von Sozialabbau und naivem Fortschrittsglauben herangezogen werden
wird.
- Als Wachstumsgarant wird hier ausschließlich technologischer Wettbewerb gedacht. Dass (gerade auch historisch)
nationalstaatliche Volkswirtschaften ihr technologiegetriebenes Wachstum auf Kosten anderer Volkswirtschaften und deren Wohlstand generierten, wird bei einer isoliert nationalstaatlichen
Betrachtungsweise, die den Theorien offenbar zu Grunde liegt, geflissentlich übersehen. Wo einzelne Nationalökonomien technologisch die Marktführerschaft übernehmen, tun sie das auf Kosten anderer
Staaten (eine Situation, in der sich einige deutsche Unternehmen aktuell befinden dürften). Als Rezept für den Wohlstand aller Nationen taugt der technologiegetriebene Wettbewerb aber schon
aus Gründen der Logik nicht.
- Die Fokussierung auf Produktivität und Fortschritt übersieht wieder einmal, dass der demografische Faktor eine
bedeutsame Einflussgröße auf das BIP-Wachstum ist. Gesellschaften mit rückläufiger Bevölkerungs- bzw. Erwerbsbevölkerung werden auch trotz technologischer Innovation nicht mehr die gewünschten
prozentualen Wachstumsraten erzielen können. Damit steigt der Druck, weitere soziale und ökologische Schutzregelungen als „Wachstumshindernisse“ aus dem Weg zu räumen.
- Fast alle Meldungen auch in den „Qualitätsmedien“ titelten, die drei Forscher seien für ihre Theorien zum „nachhaltigen Wachstum“ geehrt worden.(4) Hier wird – wieder einmal – der
Begriff des „nachhaltigen Wachstums“ (im Sinne des nachhaltigen Wirtschaftens) in sein Gegenteil verkehrt. Gemeint ist nämlich nicht das sozial- und umweltverträgliche Wirtschaften, sondern
schlicht die Dauerhaftigkeit des BIP-Wachstumspfads. Unbefangene oder oberflächliche Leser*innen werden die Entscheidung der Nobel-Jury damit als Schritt zu einer nachhaltigen
Wirtschaftsweise verstehen. Dem ist mitnichten so. Mangels kritischen Bewusstseins und fachlichen Know-hows der Öffentlichkeit liegt hier wohl ein Fall des Greenwashings des Wirtschaftsnobelpreises
vor.
Leider konnte ich auch keinen einzigen kritischen journalistischen Einwurf recherchieren. In dieser für Wirtschaft,
Gesellschaft, Welt und Mitwelt so entscheidenden Frage der Nachhaltigkeit scheint in den Redaktionen weiterhin wenig Bewusstsein zu herrschen. Da auch einschlägige NGOs wie Greenpeace oder der BUND
hier bisher nichts beizutragen hatten, habe ich mich zu dieser Kommentierung bemüßigt gefühlt.
Eigentlich habe ich ja Ferien.