Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
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Schuldenbremse forever? - Was besagt die "Modern Monetary Theory" (MMT)?

Dezember 2023

 

Im Netzwerk der Teachers for Future wurde anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Umwidmung von Corona-Hilfen für den Klimatransformationsfonds über die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse diskutiert und ein Faktencheck angeregt. Nun bin ich kein Freund der Idee von Faktenchecks“, nicht nur weil sie in der gegenwärtigen Medienlandschaft bisweilen vorschnelle Ausgrenzungen alternativer Wissenschaftspositionen praktizieren. Schon der Anspruch, alleiniger Interpret von komplexen Zusammenhängen zu sein (speziell in den Gesellschaftswissenschaften), kollidiert mit meinem Verständnis von Wahrheitssuche und Dialogbereitschaft. Nichtsdestotrotz habe ich meine (persönliche) Sichtweise auf die Themen MMT und Schuldenbremse in Faktencheckmanier“ formuliert.

 

Die nachträgliche Änderung des Nachtragshaushalts 2021 des Bundes durch die rot-gelb-grüne Regierungskoalition wurde vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft. Hintergrund ist die Änderung des Grundgesetzes 2009, welche eine verfassungsmäßige Verankerung der sogenannten „Schuldenbremse“ in mehreren Grundgesetz-Artikeln bewirkte. Diesbezüglich mag vom Bundesverfassungsgericht – aus juristischer Perspektive – korrekt geurteilt worden sein. Das Urteil geht aber aus ökonomischer Sicht an der Realität vorbei. Dies hat auch Konsequenzen für die deutsche Klimapolitik. Dazu etwas Hintergrund zur Modern Monetary Theory (MMT).

 

Wodurch unterscheidet sich die MMT von der traditionellen Geldtheorie?

 

Gemäß der MMT ist der Staat (in Verbund mit der Zentralbank) Herr und Ursprung jeder Währung. Der Staat ist nicht „Kostgänger“ von Unternehmen und Haushalten, die jegliche Staatsausgabe durch ihre Steuern erst ermöglichen. Der Staat kann – unabhängig vom Steueraufkommen und unter Beachtung der Inflationsentwicklung – jede gewünschte Ausgabe tätigen, wenn die Zentralbank für den etwaigen Aufkauf der Staatschulden und Übernahme des Schuldtitels in ihre Bilanz bereitsteht. Das ist nicht nur Theorie, sondern wurde in der Weltfinanzkrise in Nordamerika, in der Euro-Krise über den Umweg des ESM und im Zuge der Corona-Hilfen auch in der EU praktiziert.

 

Gibt es für schuldenfinanzierte Staatsausgaben keine Grenze?

 

Doch. Diese liegt jedoch nicht – wie in der traditionellen Geldtheorie behauptet – in der Geldmenge, welche Inflation generiere, sondern in der Verfügbarkeit volkswirtschaftlicher Ressourcen (Arbeitskraft, Rohstoffe, Kapital). Nur wenn diese überbeansprucht werden, droht Inflation. Ansonsten kann der Staat durch eigene Investitionsimpulse jeglichen gesellschaftlichen Wandel initiieren. Diese Erkenntnis machte MMT auch attraktiv als wirtschafts-/geldpolitischer Hintergrund des sozialpolitisch ambitionierten Programms Bernie Sanders im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 und 2020. Und es macht MMT interessant als Rechtfertigung staatlicher Klimaschutzinvestitionen.

Eine weitere Grenze liegt nach fast 50 Jahren Neoliberalismus in der öffentlichen Ablehnung von Staatsverschuldung, welche politische Kampagnen gegen entsprechende Konzepte zur Folge hat. Nicht ganz von der Hand zu weisen sind Befürchtungen des wirtschaftspolitischen Establishments im Hinblick auf eine „Anspruchsinflation“ gesellschaftlicher Stakeholder, sobald sich herumspricht, dass der Staat ganz andere Möglichkeiten hätte, als es in der (auch schulisch vermittelten) Lehrbuchtheorie verlautbart wird. Ein progressiver Umgang mit einer anderen Geldpolitik bedarf daher auch besserer ökonomischer Bildung der breiten Öffentlichkeit.

 

Ist MMT ein neues „linkes“ oder „grünes“ wirtschaftspolitisches Programm?

 

Nein. Zunächst einmal ist es kein Programm, sondern eine Geldtheorie. Dabei verändert sie lediglich die Sicht auf den Ursprung des Geldes und ermöglicht damit allerdings (expansive) Wahlprogramme von Parteien jeglicher politischen Couleur. Tatsächlich wurde und wird direkte Staatsfinanzierung ja auch in Kriegswirtschaften eingesetzt. Daneben kann MMT aus Sicht einer Postwachstumsökonomie kontraproduktiv sein, denn die Ausweitung der Staatsaktivität könnte Ressourcenvorkommen tendenziell auch weiter erschöpfen und Umweltzerstörung vorantreiben. Im Sinne des klimapolitischen „Green Growth“ birgt MMT jedoch neue Sichtweisen auf die Handlungsoptionen einer Regierung.

 

Ermöglicht MMT in jedem Land neue wirtschaftspolitische Impulse?

 

Nein. Hier haben alle Staaten mit eigener Währungshoheit einen Vorteil. Die EU hat sich durch ihre Maastricht-Kriterien, die allesamt der neoliberal-monetaristischen Ära zuzuordnen sind, ihrer Wirkmächtigkeit beraubt, denn die Zentralbank wurde bewusst „unabhängig“ konzipiert und gestattet den Regierungen einzelner Mitgliedstaaten keine Staatsverschuldung jenseits der (wissenschaftlich widerlegten) 60%-Grenze des BIP. Dies war auch ein Grund für die Euro-Krise. Die pragmatische Hinwendung zum ESM und zu den Corona-Hilfen zeigte jedoch, dass die EZB ggf. auch bereit ist, über ideologische und EU-vertragliche (Denk-)Barrieren hinwegzugehen.

Deutschland hat sich durch seine „Schuldenbremse“ finanzpolitisch noch weiter geknebelt.

Im Falle der USA ist noch zu beachten, dass Haushaltsdefizite und Auslandsverschuldung durch die Rolle der Leitwährung des Dollars noch leichter möglich sind. Diesen Vorzug genießen andere Währungen bei Weitem nicht in demselben Maß.

 

Braucht man MMT, um die „Schuldenbremse“ zu hinterfragen?

 

Nein. Weder „Schuldenuhren“ noch die Schuldenbremse noch die Maastricht-Kriterien der EU treffen die notwendige Unterscheidung zwischen Schulden in eigener Währung und Schulden, die auf Auslandswährungen lauten. Katastrophale Konsequenzen können tatsächlich Schulden in Auslandswährung haben. Dieses Problem richtet seit Jahrzehnten Staaten des Globalen Südens zu Grunde und erfasste in der Euro-Krise auch die Mittelmeer-Anrainer-Staaten. Dabei kam noch die zerstörerische Wirkung von „Rating-Agenturen“ hinzu, welche Spekulation gegen Griechenland (und Italien) anheizten, bis die EZB in Person Mario Draghis ein Machtwort sprach und den ESM als Ausweg aus der Misere ohne Wenn und Aber ankündigte.
Der am höchsten verschuldete Staat der Welt ist seit 20 Jahren Japan, ohne dass die Zahlungsfähigkeit des Landes jemals international in Frage gestellt wurde. Japan hat jedoch hauptsächlich Inlandsschulden und eine Zentralbank, die Ausgabenprogramme der Regierung deckt – ein Beleg, dass MMT auch in der politischen Praxis relevant ist.

Clemens Fuest, Chef des (neoliberalen) Münchner IFO-Instituts, regt neuerdings seinerseits die Hinterfragung der deutschen Schuldenbremse an.(1) Er plädiert für die Unterscheidung in investive und konsumtive Neuverschuldung. Damit bleibt er einerseits dem Wachstumsdenken verhaftet. Andererseits werden durch diese Unterscheidung sozialpolitische Ausgaben diskreditiert, welche ihrerseits durchaus helfen könnten, benachteiligten Bevölkerungsgruppen bessere Start-Chancen zu gewähren, die dann wiederum auch klassische Wachstumspotentiale erweitern könnten. Gegenüber der bisherigen Position des Instituts und des monetaristisch agierenden Polit-Establishments ist seine Aussage allerdings zu begrüßen.

 

Wie sollte sich die Klimabewegung zur Staatsverschuldung positionieren?

 

Die Klimabewegung fordert staatliche Investitionen in eine erneuerbare Energieinfrastruktur und nachhaltige Produktion. Dies bedeutet eine Generationenaufgabe, die allein durch Marktkräfte und Steuereinnahmen nicht zu bewerkstelligen sein dürfte.(2) Dabei ist die neoliberale Verteufelung von Staatsverschuldung schon terminologisch abzulehnen, denn sie differenziert nicht genügend zwischen Inlands- und Auslandsschulden. Die Modern Monetary Theory geht noch einen Schritt weiter, denn sie möchte Staatsverschuldung - unter den genannten Bedingungen - aus der ideologischen Schmuddelecke befreien. Insofern besteht in dieser primär wirtschaftswissenschaftlichen Debatte ein wichtiger Grundlagendiskurs, der geeignet ist, umwelt- und klimapolitische Maßnahmen des Staates vor ökonomisch ungerechtfertigter oder rechtspopulistischer Kritik zu schützen. Mit Standpunkten der wachstumskritischen Degrowth-Bewegung ist die MMT jedoch nur vereinbar, wenn staatliche Investitionen einem klaren Nachhaltigkeitscheck unterworfen werden.

 

 

Einen ausführlichen Beitrag zur MMT mit Annotationen habe ich 2019 veröffentlicht. Hier finden sich auch Grafiken, die unterrichtlich zur Erläuterung der MMT eingesetzt werden können.

 

Literaturtipp: Stemmer, Monika: Staat macht Geld. Westend-Verlag 2023.

 

 


(1) Vgl. Fuest, Clemens/Grimm, Veronika: "Deutschland in der Schuldenkrise - Hat die Schuldenkrise eine Zukunft". In: Tagesspiegel vom 3. Dezember 2023. https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/deutschland-in-der-haushaltskrise-hat-die-schuldenbremse-eine-zukunft-10874098.html

(2) Vgl. Ehnts, Dirk: Die Debatte um die Krisenkosten. Versuch einer Klarstellung. In: Politik & Ökonomie - Beiträge zur politischen Ökonomie, Dezember 2023. https://politischeoekonomie.com/die-debatte-um-die-krisenkosten-versuch-einer-klarstellung/

 

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