Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
Nachhaltige Entwicklungim volkswirtschaftlichen Unterricht

Boris Becker macht mal halblang Impressum - Die wahre Arbeitsangebotskurve

Boris Becker war nicht nur ein genialer Tennisprofi. Auch nach seiner sportlichen Karriere ist er bis heute ein Lieblingskind der Medien geblieben. Darum hatte er nie Mangel an Anfragen für Werbeverträge und Fernsehauftritte. Beides zählt für Boris Becker zu seiner persönlichen Arbeitszeit und er lässt sie sich durch Gagen und Honorare vergüten. Doch was zeigt uns das über die Besonderheiten des Arbeitsmarkts?

In der VWL haben wir uns an das Standard-Marktmodell von Angebot und Nachfrage gewöhnt. Im Standard-Marktmodell nimmt man an, dass die Angebotskurve im Preis-Mengen-Diagramm (ceteris paribus) ansteigend ist: Je höher der erzielbare Preis, desto mehr Güter werden die Marktteilnehmer anbieten. Für den Aktienmarkt an der Börse ist dieses Modell auch sicher eine gute Erklärung. Wenn der Preis für eine Aktie ansteigt, werden mehr Aktionäre ihre Aktie zu verkaufen bereit sein, wenn er fällt, weniger Aktionäre.

Auf dem Arbeitsmarkt sieht die Sache aber ein wenig anders aus. Auch Boris Becker ist nur ein Mensch. Genau wie jeder andere Privathaushalt kann er nur über 24 Stunden am Tag verfügen. Dabei muss er sich zwischen Freizeit entscheiden, in der er zum Vergnügen Golf spielt, und der Arbeitszeit, in der er Sponsorenverträge erfüllt oder im Fernsehen einen Auftritt hat. Angenommen, er hat bisher zwei Fernsehauftritte pro Woche. Auch für ihn bedeuten Maske, Scheinwerferhitze und die immer gleichen Moderatorenfragen puren Stress und außerdem kann er in dieser Zeit nicht golfen gehen. Der Stundenlohn für seine Fernsehauftritte beläuft sich auf 5000 Euro. Eines Tages bietet ihm ein Privatsender für einen Fernsehauftritt 10000 Euro Stundenlohn. Boris Becker freut sich, denn nun kann er auf die anderen Auftritte verzichten und verdient trotzdem dasselbe. Er braucht jetzt nur noch eine Stunde pro Woche arbeiten und kann die restliche Zeit Golf spielen oder seinen Kindern Tennis beibringen. Ein höherer Lohn wird ihn also nicht dazu bewegen, mehr Arbeitszeit anzubieten, sondern weniger. Für Boris Becker stimmt das Standard-Marktmodell nicht.

 

Eine realistische bzw. „wahre“ Arbeitsangebotskurve hat vier unterschiedliche Abschnitte:

  • „Promi-Gage“: Im obersten Lohnbereich dürfte die Bereitschaft zur Mehrarbeit sehr gering sein. Auch wenn Boris Becker noch ein paar Tausender mehr dazu bekommt, wird er nicht noch weitere Stunden arbeiten wollen und seine sowieso schon knapp bemessene Freizeit aufgeben, eher im Gegenteil.
  • „Karriere-Trip“: Im oberen mittleren Bereich verläuft die Arbeitsangebotskurve vermutlich wirklich so, wie es das Standard-Marktmodell beschreibt: Wenn man Privathaushalten einen besseren Job mit höherem Einkommen anbietet, werden sie wahrscheinlich bereit sein, längere Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen: Der Mehrverdienst erlaubt dann einen luxuriöseren Lebensstil, Urlaub auf den Seychellen, einen teuren Sportwagen und neidische Blicke der Nachbarn.
  • „9 to 5-Job“: Im unteren mittleren Bereich arbeiten die Privathaushalte quasi zu jedem Lohn. Mehr Freizeit können sie sich gar nicht leisten, außerdem sind die Arbeitszeiten tarifvertraglich fest vorgegeben. Überstunden fallen eher lästig – sofern sie überhaupt bezahlt werden, denn viele Unternehmen erwarten das sowieso von ihren Mitarbeitern. Die Arbeitsangebotskurve verläuft stark preisunelastisch (d.h. praktisch senkrecht).
  • „Niedriglohn-Job“: Sinkt das Lohnniveau unter ein Existenzminimum oder eine persönliche „Schmerzgrenze“, dann sind die Privathaushalte auch noch gezwungen ihre letzten Reserven an Freizeit für die Arbeit aufzugeben. Wenn der Verdienst einer allein erziehenden Mutter als Kellnerin nicht mehr ausreicht, die wichtigsten Anschaffungen des Lebens zu finanzieren, wird sie vielleicht noch zusätzlich eine Putzstelle annehmen oder Nachhilfestunden geben. Je niedriger der Lohn, desto mehr Arbeitszeit bietet sie an. Im Gegensatz zum Standardmodell verläuft die Arbeitsangebotskurve dann sogar fallend.

Es könnte sogar sein, dass die Konkurrenz aller Niedriglohnarbeiter die Löhne noch weiter drückt: Wenn man am Ende eines 8-10 Stunden-Tages die Kellnerin noch putzen geht, findet jemand anderes, der diesen Job vielleicht auch machen wollte oder muss, keine Arbeit. Dann ist dieser Privathaushalt unter Umständen bereit, seine Arbeitskraft für noch weniger Lohn anzubieten.

 

Aufgabe:

Von welchem Abschnitt der Arbeitsangebotskurve ist in den folgenden Beispielen die Rede?

a) Gerd Grober hat nach 5 Jahren Universitätsstudium seit 3 Jahren seinen ersten Job als Marketing-Manager eines Waschmittelherstellers. Sein Vorgesetzter ist mit seiner Arbeit mehr als zufrieden, darum bietet er Gerd die Leitung der Abteilung an, nachdem der bisherige Leiter in den Ruhestand gegangen ist. Gerd überlegt, ob er zusagen soll. Die neue Verantwortung würde jedenfalls bedeuten, dass er in Zukunft keine Überstunden mehr abrechnen kann und trotzdem jeden Tag länger in der Firma bleiben muss. Gerd ist alleinstehend, würde aber in seinem nächsten Urlaub gerne eine Fernreise nach Australien unternehmen.

b) Karl Koberlein hat die Schule frühzeitig abgebrochen und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Seit er mit seiner Freundin Sabine eine kleine Tochter hat, reicht der Verdienst nur noch zum Notwendigsten. Seine neue Tätigkeit als Verpacker in einem Buchversand bringt aber weniger ein als sein früherer Job im Lager eines Baumaterialgroßhändlers. Karl nimmt noch zusätzlich bei einer Apotheke einen 450-Euro-Job als Feierabend-Auslieferer für Hausbestellungen von Medikamenten an. Dass er jetzt abends nicht mehr im Haushalt helfen kann, nimmt Sabine schulterzuckend zur Kenntnis.

c) Eva Elefterios, besser bekannt als Lady Lala, ist seit Jahren eine im In- und Ausland gefeierte Popsängerin. Ihre Songs verkaufen sich wie warme Semmeln und ihre letzte Konzerttournee war jedes Mal bis auf das letzte Ticket ausverkauft. Auch für neue Gigs stehen schon wieder Anfragen an. Ihr Manager verhandelt mit den Konzertveranstaltern über die Vertragsbedingungen. Dabei hat er es geschafft, eine um 75% höhere Gage pro Auftritt auszuhandeln. Als er dies Eva mitteilt, entscheidet sie sich, nur noch 20 Konzerttermine statt 25 anzunehmen.

d) Gewerkschaftsmitglied Dietmar Deuber ist Industrieschlosser bei einem mittelständischen Werkzeughersteller im Bergischen Land. Sein Unternehmer lässt sich bei Tarifverhandlungen vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall vertreten. Der neue Tarifvertrag sieht eine zum Jahresbeginn rückwirkende Lohnerhöhung von 5% brutto vor. Der Manteltarifvertrag, in dem die Arbeitszeiten geregelt sind, bleibt von der Lohnerhöhung unberührt. Dietmar freut sich und kauft seiner Verlobten einen Blumenstrauß.

Druckversion | Sitemap
© VWL-Nachhaltig