Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
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Weg mit dem Bruttoinlandsprodukt!

2018 hat die Bundesrepublik Deutschland 3436 Milliarden Euro erwirtschaftet. Ist das viel, ist das wenig? Müssen wir besorgt sein, dürfen wir stolz sein?

 

3436 Milliarden sind weder wenig noch viel, sondern falsch. Denn im Bruttoinlandsprodukt wird vieles gar nicht erfasst und vieles zwar richtig, aber falsch bewertet. DAS BRUTTOINLANDSPRODUKT MISST SO ZIEMLICH ALLES, WAS IN DER WIRTSCHAFT VORGEHT. NUR NICHT DAS WORAUF ES IM LEBEN ANKOMMT.

 

Zum Beispiel: Die Arbeit der Hausfrau, sofern sie kein Einkommen hat, zählt nicht. Mütter, die ihre Kinder ohne Entgelt großziehen, werden vom BIP übersehen. Kämen zwei Mütter dagegen auf die listige Idee, ihre Kinder auszutauschen und sich für die Betreuung gegenseitig und monatlich je 1000 Euro zu zahlen, wäre das BIP im selben Monat um 2000 Euro gestiegen. 

 

Kaum erfasst wird auch die Schwarzarbeit, sie geht an Staat und Statistik vorbei. Und nicht erfasst wird die so genannte Schattenwirtschaft, ehrenamtliches Engagement, die gesamte Do-it-yourself-Bewegung. Schwarzarbeit, Ehrenamt und Schattenwirtschaft, machen groben Schätzungen bereits die Hälfte des offiziellen Bruttoinlandsprodukts in der Bundesrepublik Deutschland aus. 

 

Der irische Schriftsteller Oscar Wilde hat einmal formuliert, es gebe Menschen, die von allem den Preis, aber von nichts den Wert kennen. Er muss dabei an Politiker gedacht haben. Sie lieben es, aus der Statistik des Bruttoinlandsprodukts falsche Schlüsse zu ziehen. So wird zum Beispiel ein Auto, das viele Kosten verursacht, in der nationalen Gesamtrechnung letztlich immer wertvoller, denn die Reparaturen erhöhen ja das Inlandsprodukt. 

 

Und Umweltschäden, die uns an den Rand des Ruins bringen können, erhöhen unseren Reichtum ins Unermessliche – wegen der Reparatur, der Folgekosten. Statistiker haben errechnet, dass die Schäden nach dem großen Elbehochwasser 2003 das BIP von Sachsen um 1,8 Prozentpunkte gesteigert haben. Ein toller Erfolg in unserer Gesamtrechnung.

Ein kranker Mensch, der die Pharmaindustrie am Laufen hält, ist allemal ein besserer Inlandsprodukt-Produzent als ein gesunder. Denn der verursacht ja keine Kosten, bringt also keine Einnahme. Und seit 2014 steigern wir das BIP auch durch Drogenschmuggel und Prostitution, die das Statistische Bundesamt über Schätzwerte erfasst.

 

Dass Statistiker uns reich rechnen? Na gut. Wenn aber Politiker die jährliche Steigerungsrate wie ein Götterbild behandeln, auf das man hören muss, dann wird es gefährlich."

 

Original-Artikel von Adolf Theobald, Journalist, erschienen in GEO 2/1986, aktualisiert.

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