Nachhaltige Entwicklung im volkswirtschaftlichen Unterricht
Nachhaltige Entwicklungim volkswirtschaftlichen Unterricht

Karikatur gewidmet Horst Haitzinger (siehe Post Scriptum)

Waffen für das Wachstum

März 2025

 

Unternehmensvertreter, Lobbyorganisationen und Politiker verlangen mehr Rüstung zur „Rettung der deutschen Wirtschaft“. Ob ihre Argumentation auf Vernunft gebaut ist oder an Zynismus grenzt, ist eine Frage des eigenen geopolitischen Standpunktes. In jedem Fall können sie sich auf die etablierte Wirtschaftstheorie stützen, die seit Jahrzehnten das Schicksal unserer Gesellschaften dominiert und eine Dauerkrise proklamiert. Ein neuer Versuch der kritischen Hinterfragung.

 

Mehr Krankheiten für das Wachstum. Mehr Kriminalität und Drogen für das Wachstum. Mehr Unfälle für das Wachstum. Mehr Naturzerstörung für das Wachstum. Mehr bezahlte Sex-Dienstleistungen für das Wachstum. Mehr Zuckerwatte… Dem Bruttoinlandsprodukt als Summe der wirtschaftlichen Aktivitäten eines Wirtschaftsraums ist es egal, ob Gummibärchen, Solaranlagen oder Panzerfäuste produziert wurden. Die Widersinnigkeit (um nicht zu sagen „Idiotie“) der Berechnung der gesellschaftlich bedeutsamsten Zielgröße unabhängig von ihrer qualitativen Zusammensetzung wird in schulischen Lehrbüchern im Zusammenhäng mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bisweilen angedeutet. Vielleicht aber nicht in der notwendigen Ausdrücklichkeit. 

 

Tatsächlich ist aber nicht seine Berechnung das Problem, sondern der gesellschaftliche Fetisch, zu dem das Bruttoinlandsprodukt gemacht wird. Das beginnt schon in der Wirtschaftswissenschaft selbst, da die makroökonomische Konjunkturtheorie das BIP bzw. sein Wachstum vollkommen unhinterfragt und unangefochten zu ihrer zentralen Referenzgröße erhoben hat. Der Transfer der Kritik am Bruttoinlandsprodukt auf die Wirtschaftspolitik gelingt in keinem Lehrbuch, in keinem Curriculum, und infolgedessen hat die Frage, ob das BIP als Wohlstandsindikator taugt, auch keinerlei Bedeutung für gesellschaftliche Debatten um „die Konjunktur“ und „die Wirtschaft“ und ist rein akademischer Natur.

 

Dass es sich bei der mittlerweile 50-jährigen Kritik am BIP nicht um Erbsenzählerei handelt, sondern um eine der wichtigsten Debatten unserer Zeit, wurde zuerst vom Club of Rome in seinen Studien zu den „Grenzen des Wachstums“ thematisiert. In den nachfolgenden Jahrzehnten der Umwelt- und Nachhaltigkeitsdiskussion wurde Wachstumskritik in intellektuellen Kreisen hoffähig. Inzwischen hat sich mit der Postwachstumsökonomie auch eine alternativökonomische Nischendebatte gebildet. Die Mainstream-Ökonomie und das politische Establishment ignorieren die Kritik jedoch konsequent.

 

Diese Ignoranz ist schon aus ökologischen Gründen gemeingefährlich. In den 2000er Jahren offenbarte sie zudem ihre sozialpolitische Zersetzungskraft durch die Hartz-Reformen, die der „Wachstumsschwäche des Kranken Manns an Rhein und Elbe“ geschuldet waren. Dem Sozialabbau verdankte das BIP wieder einige Jahre des zufriedenstellenden Wachstums, doch seit Ende der Corona-Lockdowns schafft es das Bruttoinlandsprodukt nicht mehr zurück auf den Wachstumspfad der vergangenen 70 Jahre.

Nun fordern zahlreiche Unternehmensvertreterinnen, Lobbyverbände und Politiker die „Konjunkturbelebung durch die Rüstungsindustrie“. Die Gesellschaft wird über das Narrativ der unzureichenden Wehrhaftigkeit und „Kriegstüchtigkeit“ zur Akzeptanz des neuen industriepolitischen Schwerpunkts aufgerufen – versüßt wird das Umdenken mit neuen Investitionsmöglichkeiten für Finanzanleger*innen.

 

Ob eine geopolitische Bedrohung Europas durch Autokraten in Ost und West vorliegt, so dass die Rüstungsinitiative nötig wäre, muss jeder selbst bewerten. Die konjunkturelle Begründung und die damit verbundene Schaffung eines „Sondervermögens“ fußen jedoch auf der Annahme einer „Wirtschaftskrise“ bzw. „Konjunkturschwäche“, die in den letzten Jahren (unter der Bedingung der sogenannten „Schuldenbremse“) weder durch Klimatechnologie noch Digitalisierung überwunden werden konnte. Nun soll es eine „Kriegswirtschaft“ richten.

 

Und wieder einmal trägt eine wirklichkeitsfremde Wirtschaftslehre dazu bei, dass gesellschaftspolitische Debatten primär ideologisch und nicht faktenbasiert geführt werden. Im Januar 2025, vier Wochen vor der Bundestagswahl (d.h. noch vor der neuen Rüstungsinitiative), lagen die Wachstumsprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute zwischen 0,2% und 0,6% Wachstum für 2025. Dies wurde als Beleg für eine Wirtschaftskrise gewertet. Gründe für die „Wachstumsschwäche“ werden einerseits in der Energiepreisentwicklung vermutet, andererseits in der schwierigen Lage deutscher Unternehmen im globalen Wettbewerb, in den nun zunehmend ehemalige Schwellenländer eintreten und in dem neue Handelskonflikte den Export erschweren.

 

BIP preisbereinigt - aber nicht demografiebereinigt

 

Angesichts der mathematisch begründbaren rückläufigen Wachstumsraten bei linearem Wachstum müsste über die Erwartung höherer Wachstumsraten aber grundlegender diskutiert werden. Denn während in allen offiziellen Statistiken das (reale) Bruttoinlandsprodukt um die Preissteigerung bereinigt wird, übersieht die nationale Rechnungslegung den demografischen Faktor. Bedingt durch die anlaufende Verrentung geburtenstarker Boomer-Jahrgänge wird die Zahl der Erwerbstätigen in den nächsten Jahren (ohne Ausgleich durch Arbeitsmigration) zurückgehen - wodurch das BIP tendenziell sinken muss. Gleichzeitig sorgt auch der aktuelle Geburtenrückgang dafür, dass der Konsum der kommenden Jahre ebenfalls weniger Wachstumseffekte bringen kann. Das bedeutet, dass lediglich technologische Produktivitätszuwächse Wachstumspotenzial ermöglichen könnten. Ob jene die rückläufige demografische Entwicklung ausgleichen können, ist fraglich. Wachstumsraten werden vermutlich auch in den kommenden Jahren bestenfalls im stagnierenden Bereich angesiedelt sein (es sei denn, es werden massive neue Konjunkturpakete geschnürt). Die demografische Entwicklung kann dann aber nicht ernsthaft als „Wirtschaftskrise“ gedeutet werden, auch wenn es Wirtschaftsmedien, Mainstream-Ökonomie und die Politik unablässig tun und damit eine Krisenstimmung erzeugen, die schließlich wieder in Sozialabbau oder neuen ökologischem Raubbau münden dürfte.

 

Oder im Aufbruch in die „Kriegswirtschaft“. Einzige Chance der Politik zum Pushen der Wachstumsraten sind die Streichung oder Reform der „Schuldenbremse“ bzw. die sogenannten „Sondervermögen“. Dass die vermutlich neue Regierung diese nun für Rüstung anstatt Umwelt, Klima und Bildung einsetzen will, ist eine politische Entscheidung, keine wirtschaftlich notwendige. Und sie ist riskant. Denn dauerhafter Frieden wurde historisch immer durch Abrüstung, Verhandlungen und wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit geschaffen, nicht durch neue Rüstungsgüter.

Post Scriptum

 

Meine Leidenschaft für die politische Karikatur verdanke ich sicher dem österreichischen Zeichner Horst Haitzinger. Seit den 1970er Jahren ist er einer der erfolgreichsten Karikaturisten in zahllosen Printmedien, der die Spitzen des tagespolitischen Irrsinns auf's Korn nahm - und zumeist auch messerscharf traf. Sein Erfolg bescherte ihm unzählige Publikationen auch in Periodika und Schulbüchern. Eine seiner bekanntesten Karikaturen zum Widerspruch von Ökologie und (praktizierter) Ökonomie war die Zeichnung einer Erde, die von einigen Arbeitern mit Hacken buchstäblich zerschlagen wird, während zwei Entscheidungsträger räsonieren: Wir schaffen doch nur notwendige Arbeitsplätze. 

Horst Haitzinger hat sich 2019 ins Privatleben zurückgezogen. Vielleicht ein weiser Entschluss, hätten die gesellschaftspolitischen Kontroversen der letzten Jahre seine Schaffenskraft womöglich überfordert.

Leider ist mir selbst kein zeichnerisches Talent vergönnt. Meine Karikaturen auf dieser Webseite erstelle ich recht unvollkommen mit Hilfe fertiger Zeichenelemente, die ich mit Grafikprogrammen bearbeite. Das macht mir großen Spaß und hilft mir, die Widersinnigkeiten auch in der schulischen Wirtschaftslehre zu verabeiten. Die vorliegende Karikatur soll aber auch so an Horst Haitzingers Zeichnungen erinnern.

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